Andreas Hofer oder Tricolore? Auch nach Jahrzehnten streiten die Südtiroler noch gern über diese Frage.

STANDARD/Montage: Beigelbeck

Ein Rodler kennt die italienische Hymne nicht, Bürgermeister richten Hilfsappelle an Österreich – Südtirol und sein unbewältigter ethnischer Konflikt sind wieder einmal Wahlkampfthema.

Kennt er sie nun oder nicht, die italienische Nationalhymne? – Der Südtiroler Rodler Gerhard Plankensteiner hat nach seinem Medaillengewinn in Turin so ziemlich alles falsch gemacht. Er hat auf die Frage eines Journalisten geantwortet, er kenne "dieses Lied" nicht. Er hat dann als Wiedergutmachung im Fernsehen die Hymne in falscher Tonlage angestimmt. Er hat schließlich bei der Siegerehrung trotz Verbot eine kleine italienische Trikolore hochgehalten und sich in den Augen strammer Südtiroler als "Walscher" geoutet.

Seither tobt auf der Webseite des Schützenbundes die Diskussion um die Frage "Gerhard Plankensteiner ein Italiener?" Bei den Andreas-Hofer-Feiern in Innsbruck und Meran am Wochenende knistert die Kampf-der-Ethnien-Stimmung. Und natürlich sind bei den Schützen online auch jene hochtrabenden Zeilen zu lesen, die Südtirol nach längerer Pause wieder in die internationalen Schlagzeilen katapultiert haben: die Petition an den österreichischen Nationalratspräsidenten Andreas Khol, die eine Erwähnung des Südtiroler Selbstbestimmungsrechts in der österreichische Verfassung fordert.

"Deitsche" . . .

Nicht ohne Häme registrierten die Medien, dass sich das vor Wohlstand strotzende Südtirol zum Schutz seines Selbstbestimmungsrechts ausgerechnet an einen Staat wandte, in dem zweisprachige Ortstafeln verhindert werden. Und Südtirols ethnische Zündler beider Sprachgruppen hatten im anachronistischen Streit zwischen "Deitschen" und "Walschen" wieder ein dankbares Thema mehr. Ihren verbissenen Kampf tragen sie mit Begriffen aus, die man im Duden vergeblich sucht: Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung, Ansässigkeitsklausel, Proporzbestimmung.

Und weil in Südtirol echte Probleme wie Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Kriminalität oder Terrorismus unbekannt sind, ereifert man sich gern über Kleinigkeiten. Über Ortstafeln und Aufschriften, einsprachige Zugschaffner und die italienische Hymne.

Was kam da gelegener als eine Petition des Schützenbundes an Wien? Mit deren Unterzeichnung lieferten 114 SVP-Bürgermeister der italienische Rechten eine Steilvorlage, von der (Rechts-)Parteien im Wahlkampf nur träumen können. Italiens Regionenminister, Enrico La Loggia, nutzte die Gelegenheit, den Modellcharakter der Südtiroler Autonomie zu rühmen. Doch die Petition und die erregten Polemiken, die ihr folgten, beweisen eher das Gegenteil.

"Proporzistan"

Südtirols Autonomie ist ein durch üppigen Geldfluss gespeistes Nebeneinender, in dem ein falsches Wort genügt, um die aufgestauten ethnischen Aggressionen freizusetzen. Ein Modell, in dem die Sprachzugehörigkeit allemal mehr zählt als Sachkompetenz und Studientitel. Ein renommierter US-Herzchirurg beispielsweise könnte im Krankenhaus in Bozen keine Anstellung finden. Dort gilt: Kommt der Primar aus der deutschen Sprachgruppe, ist der Oberarzt italienisch.

"Proporzistan", klagte der frühere grüne EU-Abgeordnete Alexander Langer. Die Globalisierung gilt in Südtirol nur für slowakische Kellnerinnen und rumänische Maurer. Alle anderen Stellen unterliegen dem ethnischen Proporz, einem längst obsoleten Zuteilungssystem, das die reiche Provinz gegen den EU-Arbeitsmarkt abschottet.

Ihren üppigen Wohlstand stellt die autonome Provinz nicht ungern zur Schau. In Meran konnte sich das Land ohne Weiteres für 100 Millionen Euro ein luxuriöses Thermenzentrum leisten. – Rund 92 Prozent der Südtiroler Steuerleistung fließt nach Bozen zurück. Ausgaben für Militär, außen- und hoheitspolitische Ausgaben dazu, erhält die Provinz mehr Finanzmittel, als sie an Steuern abliefert.

. . . gegen "Walsche"

Doch die Weltläufigkeit der Südtiroler endet häufig am eigenen Gartenzaun. Fast 35 Jahre nach Unterzeichnung des Autonomiestatus sind Schulen, Kindergärten und Sportvereine noch immer fein säuberlich zwischen "Deitschen" und "Walschen" getrennt. Die Zeitungen Dolomiten und Alto Adige achten sorgfältig darauf, dass sich kein Wort der anderen Landessprache in ihre Artikel verirrt.

Nach einer neuen Untersuchung suchen drei Viertel aller Bewohner ihre Freunde "überwiegend oder ausschließlich" in der eigenen Sprachgruppe. Sieht so eine Modellautonomie aus? Wohl kaum. Es scheint an der Zeit, Südtirols Autonomiestatut umzuschreiben – in Richtung Zukunft. Gewinnt Romano Prodi die Parlamentswahl für die Linke, hat die Südtiroler Volkspartei jede Chance dazu – wenn sie gegenüber den autonomiefreundlichen Italienern jene Großzügigkeit walten lässt, die sie über Jahrzehnte von Rom gefordert hat. (DER STANDARD, Printausgabe, 20. 02. 2006)