Dave Gahan und Depeche Mode wurden in der Wiener Stadthalle bejubelt, weil das Publikum sich die größten Hits selbst sang. Macht aber nichts, klasse Burschen, super Musik!

Foto: STANDARD/Robert Newald
Wien - Mit 44 Jahren sollte man sich eigentlich nicht mehr in einen schwarzen Strampelanzug mit Todesengelflügeln, darüber drapiertem Gladiator-Röckchen und Irokesen-Wollhaube und blaues Glitter-Make-up werfen. Fetzig ist etwas anderes. Trägt ein bisschen auf.

Allerdings muss man Martin L. Gore, dem Kopf von Depeche Mode, zugute halten, dass er gerade eine etwas unerfreuliche Scheidung hinter sich gebracht hat und jetzt bei den Damen wieder den wilden Hund markieren muss. Mit einer wunderbaren Fassung seiner Ballade Home darf er sich zwischendurch aus der zweiten Reihe nach vorn singen und ein wenig die kreischenden Jungfrauen gustieren.

Waidwund

Auf einer grauen Kugel seitlich der Bühne leuchten auf Englisch dazu die Begriffe "Sex", "Pain", "Angel", "Bitterness", "Torture", "Misery" auf. Zentrale Themen im Schaffen der seit einem guten Vierteljahrhundert musizierenden Synthiepop-Gründerväter.

Neben dem hormonell Waidwunden und einem Wissen um die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens kam Depeche Mode auch schon früh der heimliche Drang zum markigen Schweinerock US-amerikanischer Prägung entgegen - für die Befriedung von Großraumdiscos und eines Publikums in Sportstadien und Stadthallen nachgerade unerlässlich. Zu Dampfhammer-Riffs, gegen die jenes von Smoke On The Water wie dekadent überdrehtes Jazzrock-Gedaddel wirkt, wackelt vorn an der Rampe Sänger Dave Gahan mit seinen etwas abgelebten Tätowierungen. I Feel You und das vom späten Johnny Cash geadelte Personal Jesus bringen mit ihrer rohen Kraft Tote zurück.

Das Publikum nimmt speziell ab der Konzertmitte dankend zur Kenntnis, dass Depeche Mode heute nicht nur gekommen sind, um ihr neues, halb gutes und live schon gar nicht zwingendes Album Playing The Angel vorzustellen - und dazwischen Klassiker wie Question Of Time, das wie immer Gänsehaut erzeugende Walking In My Shoes, Enjoy The Silence oder Behind The Wheel zu streuen. Sie legen in der zweiten Hälfte dann mit Partykrachern wie Everything Counts, Just Can't Get Enough oder Never Let Me Down Again verstärkten Wert auf das gewohnte Massenkaraoke.

Mit Ausnahme von Marktschreier Dave Gahan könnte man sich angesichts der statischen Präsenz der insgesamt fünf Bandmitglieder nach dem letzten Wienauftritt am 11. 9. 2001 an selber Stelle ein weiteres Mal fragen, was Depeche Mode live eigentlich von sich wollen. Dass sie für gut ein Dutzend der allerbesten Popklassiker schlechthin verantwortlich zeichnen, weiß man auch, ohne dass man 60 Euro zahlt, um steinerne Gäste hinter Laptops beim Verschieben ihrer Sparrücklagen zu beobachten.

Hinter von Anton Corbijn gestalteten Kommandopulten, die wie grimmig in Metzgervitrinen ausgeleuchtete Wurstkränze aussehen, mag die Arbeit mit der Start- und Stopptaste zwar recht lustig sein. Das Auge hat sich allerdings schnell daran satt gesehen. Bitte schnell vorspulen. Fertig, danke! (DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.2.2006)