Wohl kaum würde man seinen Stücken dann den gelungenen Dialog zwischen Macher und Benützer ansehen.
Es ist ruhig - nicht so ruhig, um es reduziert zu nennen. Es ist verspielt - nicht so verspielt, um es als experimentell durchgehen zu lassen. Es legt sich dezent in Kurven, so dezent, dass organisch der falsche Ausdruck dafür wäre. Aber wozu soll es überhaupt benannt werden? Der Stil des Todd Bracher ist gut genug, ohne Benamsungen auszukommen. Die Stücke des 1974 in New York geborenen Designers wirken völlig unaufdringlich. Man könnte meinen, das eine oder andere Möbel schon einmal gesehen zu haben, spätestens beim zweiten Hinschauen gesteht man sich den Irrtum ein. Auf eine sehr stille Art hat Bracher etwas Neues geschaffen.

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Den Durchbruch schaffte der Amerikaner, der unter anderem bei Designzampano Tom Dixon in der obersten Etage mitarbeitete, mit seinem Projekt "Open Privacy". Zugrunde liegen der Arbeit Gedanken über die Grenzen der räumlichen Privatsphäre, vor allem im öffentlichen Raum. Anders gesagt: Wie viel Privatheit lässt zum Beispiel die Umgebung während eines Essens in einem Restaurant zu? Oder: Wie viel davon will der Gast überhaupt haben? Mit "Open Privacy", dem Todd-Spot aus Brachers Kollektion schuf der Designer eine Möglichkeit, die Beziehung zwischen öffentlichem Raum und Privatsphäre sichtbar zu machen. "Open Privacy", eine Art Zeltstatt ohne Dach, kommt wie ein Salettl daher und eignet sich auch in privaten Behausungen bestens für den alltäglichen Gebrauch als Ess- oder Arbeitsstätte. Bestimmt aber hat es auch das Zeug dazu, sich zum gemütlichen Zentrum jeder Bleibe zu mausern, von der aus man sich gedanklich wegbeamen lässt. Cosy, würde der Amerikaner sagen.

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Das raumschaffende Indoor-Tipi, eine Wohninsel der Designseligen, misst 150 x 160 x 160 Zentimeter, wird aus Stahl und Sperrholz gefertigt und wurde von Bracher 2001, im selben Jahr, als er sein eigenes Studio aufsperrte, für Zanotta entworfen. Bracher, der auch bei der Gruppe "to 22" mitmischt, die sich mit multidisziplinären Zugängen zu Kunst und Design beschäftigt, bezeichnet seine Arbeitsweise als "respektvoll, geduldig und zurückhaltend". Und doch nennt er auch Ungeduld als eine seiner Motivationsquellen. "Ich will die Herausforderung, Level um Level. Ich gestalte so selbstverständlich, wie ich gehe. Ich liebe diesen Job und würde ihn auch ausüben, wenn ich ganz allein auf der Welt sein sollte".

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Wenn dem so wäre, hätte er aber wahrscheinlich kaum sein Tisch-Hocker-Ensemble "Bloom" entworfen, das Platz für vier Personen bietet. Und das wäre schade. "Bloom" kann ebenfalls als eine Art Raumstudie interpretiert werden. Das fünfteilige Objekt besteht aus einem Tisch und vier Hockern aus furnierter Esche, dessen quadratische Oberflächen sich in jeweils einer Ecke sanft zu einer Art Eselsohr aufbiegen. Für manchen Betrachter steht dieses eigenwillige Ornament vielleicht als Symbol für die Kraft oder das Aufbegehren der Natur, Bracher wollte mit dieser Gruppe, die sich wie ein Puzzle zusammensetzen lässt, lediglich einmal mehr auf die Wandelbarkeit von Möbelinseln in starren Raumsystemen hinweisen.

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Kommerziell leichter handzuhaben ist sein leichtfüßiges Sofa "Freud". Mit seinem gebogenen Gerüst aus verchromtem Stahl, einer Polsterung aus feuerfestem Polyurethan-Schaum auf Elastikgurten samt abnehmbarem Außenbezug aus Stoff oder Leder zählt es wohl zu den bekanntesten Stücken Brachers. Über dessen Umgang mit Materialien schrieb der "Corriere della Sera", er benütze seine Werkstoffe auf einfache, aber niemals banale Weise, eine Aussage, die wohl auch auf die Entwurfsarbeit des Gestalters zutrifft. Die Tageszeitung schrieb weiters, er verfeinere die Tradition von Alvar Aalto und Arne Jacobsen.

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Keine schlechten Töne für den Designjungspund, der mittlerweile internationale Preise wie Mitbringsel sammelt (Idee Award Tokio, Unesco Design 21 Award Paris, ID Award New York etc.) und seine umtriebigen Arme auch in die Welt der Architektur und des Grafikdesigns ausstreckt. Dabei will sich Bracher auf keine Fußstapfen festlegen, "ich folge in ästhetischer Hinsicht niemandem. Ich schau mir schon Entscheidungen an, welche die ,Großen' des Designs getroffen haben, und versuche, sie zu verstehen. Aber formensprachlich gehe ich meinen Weg. Für meine Ideen habe ich verschiedene Bezugsquellen. Auf der einen Seite sind es Tagträume, Ideen, die wie Blitze daherkommen, auf der anderen Seite geschehen Dinge nach Phasen intensiven Analysierens und Experimentierens." Apropos Größe: "Tod" nennt sich ein neuer Streich des Designers, der nach seinem Designstudium in New York und Dänemark einige Zeit in Italien werkte, ehe er nach Paris und London kam. Das Zwergentischlein könnte stilistisch betrachtet dem Sechzigerjahre-Formenkünstler Luigi Colani untergejubelt werden, ist aber ein Beistelltisch aus dem Jahr 2005, ebenfalls für Zanotta entworfen. Das Besondere an dem kleinen Kerl mit kreisrunder Tischplatte ist sein versetztes Tischbein, das sich, im oberen Teil noch gertenschlank, zu einem wahren Elefantenfuß auswächst. Dadurch lässt sich "Tod" besonders nahe an Bett oder Couch stellen. Kaum kann das Tischchen allein bestehen, aber als stilistischer Sozius macht es sich 1a.

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Nicht nur Surfer dürften ein Auge auf Brachers Möbel "Libri Lounge" werfen. Das geschwungene Ding aus lackiertem Sperrholz ist ein Mischmasch aus einem wellenförmigen, flachen Bücherregal und einer Liege, die zum Lesen einladen soll. Belohnt wurde der Amerikaner für diesen Entwurf mit dem Toso-Preis in Tokio, der immerhin das "Sofa für das 21. Jahrhundert" prämierte. Was Bracher besonders an seine Projekte bindet, ist die Art und Weise, wie sie ihn lernen lassen. "Ich war überrascht, dass viele Japaner ihre Bleiben westlich gestalten wollen, aber immer noch gern am Boden sitzen, so schuf ich mit meinem ,Soft Sofa' ein Objekt, das aussieht wie ein Sofa, aber auch als Rückenlehne gute Dienste leistet, wenn man am Boden sitzt."

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Über seine weit gehende Einsamkeit als Amerikaner auf dem großen europäischen Designmarkt meint Todd Bracher: "Ich bin immer noch überrascht, dass die Amerikaner bis heute keine Verbindung zur europäischen Szene suchen, in der so viel passiert. In den Staaten ist der Weg zur Produktion eines Möbels extrem steinig. Direktoren, Präsidenten, Marketingmanager, Controller, sie alle müssen ihre Zustimmung geben. Dadurch ging viel gutes Design verloren. In Italien zum Beispiel geht es immer noch um eine emotionale Entscheidung."

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Unterm Strich scheint es für Bracher wunderbar zu laufen, und dennoch sieht der junge Gestalter ein großes Problem da draußen in der Welt des Designs: "Es gibt einfach zu viele gute Ideen, die da ausgetüftelt werden." In diesem Zusammenhang sind es vor allem die Gedanken des in Wien geborenen Victor Papanek, die Bracher beim Ausstechen anderer guter Einfälle seitens lebhafter Konkurrenz helfen sollen. Papanek (1925- 1998) war unter anderem fast 20 Jahre lang als "Technical Expert (Design)" für die Vereinten Nationen tätig. Sein Name ist hauteng mit den Begriffen "Öko-Design" und "Social Design" verbunden.

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Behindertengerechte Einrichtungen, medizinische Instrumente und umweltfreundliche Verpackungen nehmen eine zentrale Stellung in seiner Arbeit ein. Carsharing-Modelle diskutierte er schon in den Sechzigerjahren. Besonders sein in 21 Sprachen übersetztes Buch "Design for the real world" (1969) hat es Bracher angetan. "Ich bin ein großer Fan von ihm und all dem, was er für das Design getan hat. Seit ich seine Texte gelesen habe, verstehe ich Design rund um mich selbst und seine Rolle in der Gesellschaft. Sein Einfluss ist enorm. Er gibt mir das Werkzeug und die Kenntnis, was viel mehr wert ist als ein neuer Sesselentwurf." Auch auf die Verantwortung eines Designers angesprochen, zitiert Bracher Papanek, der unter anderem bei Frank Lloyd Wright studierte: "Es gibt Berufe, die mehr Schaden anrichten als der des Designers. Aber es sind wenige." Es sind wohl Designer wie Todd Bracher, die Obacht geben, dass dies nicht schlimmer wird.

Weitere Infos: go.to/toddbracher
(Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/10/02/2006)

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