Anderswo, meint der Skiführer, sei das längst anders. In Davos etwa. Oder in den französischen Alpen. In Kanada sowieso. Aber das sei eben eine Frage des Bewusstseins - und er sei, meint der Skiführer, während er in der kleinen Achtpersonengondel ohne sich um die erstaunten Mienen der Umsitzenden zu kümmern, sein Equipment ordnet, absolut optimistisch, dass "sich da in den nächsten Jahren auch in Österreich einiges tun wird".

Foto: Rottenberg

Doch auch wenn nicht: Ob die Leute blöd schauen, wenn er mitten im doch durch und durch erschlossenen Skizirkus von Saalbach bei seiner Gruppe die korrekte Funktion der Lawinenpiepser kontrolliert und schaut, ob auch alle Sonden und Schaufeln dabei haben, ist Nicolaus Winterstein "ziemlich wurscht: Beim Autofahren hat sich der Sicherheitsgurt auch durchgesetzt - und wer mit mir auch nur einen Meter neben der Piste fahren will, macht das so wie ich: nur mit eingeschaltetem Pieps." Und lernt auch - zumindest ansatzweise - damit umzugehen.

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Der 36-jährige staatlich geprüfte Skiführer, Ski- und Snowboardlehrer meint das ernst. Und kann auch sauer werden. Etwa dann, wenn ein Rudel Snowboarder - dicht an dicht - quer in einen Tiefschneehang hineinfährt. "Weil es eine Menge Gründe gibt, das so weder mit Skiern noch mit dem Board zu tun - auch wenn das hier harmlos ausschaut: Das kann eine Frage des Überlebens sein."

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Und ein bisserl mulmig, gibt Winterstein zu, sei ihm manchmal schon, wenn er als Testimonial für die Schönheit unverspurter Hänge, das Schweben im Tiefschnee und - das vor allem - die prinzipielle Erlernbarkeit dieser Kunst durch fast jeden halbwegs versierten Skifahrer dasteht. Aber daran, dass "Freeriding" längst das "next big thing" im Skigeschäft ist, ändert an dieser Skepsis nichts. Und da ist es allemal besser, Bewusstseinsarbeit zu leisten, als mit Verboten, an die sich keiner hält, zu fuhrwerken.

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Deshalb ist Winterstein in seiner Heimatregion Saalbach unterwegs: Als Guide des vom Sporteventagentur-Start-up "Programat" des von Volker Hölzl angebotenen Kurz-aber-Intensiv-Tiefschneecamps "Blizzard Freeride Experience" führte er vorletztes Wochenende Pulverschneejunkies durch "sein" Revier - und wird bis Mitte März auch bei den Nachfolgecamps beweisen, dass es sogar in Saalbach möglich ist, lange, steile unverspurte, unberührte und unentdeckte Traumabfahrten zu finden. Und zwar (fast) ohne skitourenmäßigem Felle-Aufziehen und Bergaufstapfen.

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"Der Unterschied zwischen Tourengehen und Freeriding", erklärt Veranstalter Volker Hölzl, "liegt in den Prioritäten: Für viele Tourengeher ist der Aufstieg integraler Bestandteil des Ski-Erlebnisses - Freeridern geht es um die Abfahrt im Tiefschnee." Und auch wenn die Touren-Szene boomt, ist Freeriding mittlerweile das, was Snowboarding vor etlichen Jahren war: Ein Trend, der - inklusive "Attitude", Videos und Equipment - gerade am Sprung zum Massenphänomen ist.

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Er habe vor einigen Jahren in Chamonix für Red Bull bei der Organisation der "inoffiziellen Freerider-WM" mitgearbeitet, erzählt Hölzl - "und da ist mir aufgefallen, dass auch in Österreich zwar immer mehr Leute neben der Piste fahren, es aber abseits der Insiderszene keine Angebote gibt." Und so startete der 35-Jährige vor mittlerweile drei Jahren seine "Freeride Experience"-Wochenenden für Einsteiger und Fortgeschrittene. Teils auf der (doch ziemlich alpinen) Rudolfshütte, teils im (durch und durch komforttourismuskompatiblen) Saalbach: "Wer auf einer schwarzen Piste einen Parallelschwung schafft, kann auch in den Tiefschnee", postuliert Hölzl. Nachsatz: "Wenn man es ihm zeigt und sagt, worauf er sonst noch achten muss."

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Dieses "sonst noch" ist wichtig, betont Hölzl immer wieder: "Manchmal fahren einem Skifahrer oder Boarder ja einfach nach, wenn man die Pisten verlässt. Ich frage die dann, was sie sich dabei denken - und wie sie sich absichern. Ich bin jedes Mal wieder fassungslos, dass die oft wirklich keine Ahnung haben, worauf sie sich da einlassen." Aber gegen den Lockruf der unverspurten Wildnis verhallen alle Mahnungen und Belehrungen eben ungehört: Tiefschnee ist eine Droge, die das Gros ihrer Benutzer alles, was sie vielleicht doch irgendwann einmal über Respekt vor Natur, Flora und Fauna gehört haben, vergessen lässt.

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"So, und die nächsten zehn Minuten haltet ihr alle den Mund", gibt Winterstein deshalb auf einem verschneiten Ziehweg plötzlich den Oberlehrer, "wir kommen jetzt nämlich in die Nähe von Futterstellen." Einfach und auf gut Glück die Pisten zu verlassen, erklärt er später, sei nämlich nicht nur gefährlich, sondern auch ein Ärgernis: "Ich stelle meine Routen anhand von Satellitenbildern, Wanderkarten und genauen Ortskenntnissen zusammen" - und dass genau das wichtig ist, um Zoff mit Jägern und Förstern zu vermeiden, zeigt der Guide dann (ungeplant) gleich darauf, als ein anfangs ob der den Wald- und Wanderweg befahrenden Skifahrer wutschnaubender Waidwerker auftaucht.

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Der Kern ihrer Botschaft, erklären Hölzl und Winterstein unisono, heiße deshalb auch "Respekt" - egal, ob das von der Pistenmehrheit verstanden wird: Wenn Winterstein anfängt, seine Gruppe in einem flachen und abgesteckten Areal im Schnee buddeln zu lassen, kann es schon vorkommen, dass Vorbeifahrenden angesichts der gleich nebenan liegenden Kinder-Skikrabbellandschaft ein paar blöde Kommentare über die Lippen kommen. In Wirklichkeit befindet sich hinter dem Kinderspielplatz aber eines der wenigen "Trainingsfelder" in Österreich, auf dem eine Hand voll mit Lawinenpiepsern ausgestatteter Dummies fix unter der Schneedecke versteckt ist. Die Dummies sind beliebig ein- und ausschaltbar.

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Und dass das Orten, Suchen und Ausbuddeln von "Verschütteten" schon unter diesen Bedingungen alles andere als ein Kinderspiel ist, merkt man spätestens, wenn von den anderen Mitsuchern mindestens einer vergisst, sein Ortungsgerät von "Senden" auf "Suchen" umzuschalten - und natürlich prompt angepeilt wird. "Das kommt auch im Ernstfall vor.

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Aber das Gefühl, unter Zeitdruck und panisch vor Angst vor einer Nachlawine bis zur Hüfte in einem Lawinenkegel zu stehen und seine Freunde zu suchen, wünsche ich niemandem", sagt Winterstein, "aber wer sich darüber nie Gedanken gemacht hat, hat dort, wo das Skifahren am allerschönsten ist, nichts zu suchen." (Thomas Rottenberg, Der Standard, Printausgabe 4./5.2.2006)

Info: Programat

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