Foto: Süddeutsche Kriminalbibliothek
Immer wieder diese Augen: Privatdetektiv Sam Spades "gelbgraue Augen", "schmal und stechend", beherrschen die Szene, sehen alle Schwächen seiner Gegenspieler und verraten nichts von seinen Plänen und Gefühlen. Ich mag es sehr, wenn der Theaterzuschauer die Augen der Schauspieler sehen kann, aber in diesem ersten richtigen Detektivroman der Geschichte, in dem so oft von den Augen die Rede ist, weiß der Leser trotzdem nie, woran er ist. In schnellen, harten Szenen wird ein Fall durchgespielt, der ihn voltenreich von einer Verblüffung in die nächste wirft.

Zum ersten Mal habe ich diese großartigen Dialoge vor vielen Jahrzehnten gelesen, und ich bin immer wieder von der Story fasziniert, die wie ein atemberaubendes Theaterstück vom perfekten Timing der Szenen lebt. Als junger Regisseur in England habe ich jede Woche eine Inszenierung herausgebracht. Da lernt man nicht nur schnelles Arbeiten, sondern entwickelt auch dynamische Szenenwechsel, die die Zuschauer mitreißen. So ist es auch in diesem Roman, der ebenso gut ein Drehbuch sein könnte - kein Wunder, dass die Verfilmung mit Humphrey Bogart solchen Erfolg hatte. Kaum sind Sam Spade und sein Partner eingeführt, wird dieser schon erschossen. Kaum hat Sam Spade die Polizei abgewimmelt, schließt ihn die Witwe in die Arme und fragt seelenruhig: "Hast Du ihn umgebracht?" Kaum lernt der Leser Spades Klientin kennen - jung, hübsch, verängstigt -, schon entpuppt sie sich als Gangsterbraut, die wie diverse andere Verbrecher hinter einer wertvollen Skulptur, dem Malteser Falken, her ist und dafür über Leichen geht. Keiner ist, was er scheint, keinem kann man trauen, alle spielen ihre Rollen - eine einzige Paranoia, sehr modern.

Auch der Detektiv ist keineswegs so, wie ihn der Leser erwartet: zum Glück kein Held, sondern eine taktierende, undurchsichtige Figur ohne moralische Skrupel; einer, der sich bis zum Schluss nicht in die Karten sehen lässt, ständig Zigaretten dreht und beim Verhör mal eben fünf Gläser Rum kippt. Selbst das Happyend, in dem Spade überraschenderweise sein Berufsethos beschwört, ist eine ganz unsichere Sache, weil wir nie wissen, ob er nur zum Schein auf die Gangster eingegangen ist oder selbst den Deal wollte.

Hammett zeigt sich mit diesem Krimi als aufregender Dramatiker, der sich hütet, seine Leser mit einer Schwarz-Weiß-Welt vom guten Detektiv, der gegen die bösen Verbrecher antritt, zu langweilen. Der Text gilt als Begründung des Realismus im Kriminalroman, aber ich bin mir trotz der realistischen Milieuschilderungen nicht sicher, ob man das so sagen kann. Jedenfalls wusste Hammett, wovon er schrieb: Mit 13 Jahren musste er die Schule verlassen, und nach zahlreichen Gelegenheitsjobs arbeitete er selbst jahrelang als Detektiv.

Realistisch heißt hier nicht, dass dem Leser oder Zuschauer die Interessen der Figuren psychologisch erklärt werden, dass jemand für das Milieu verantwortlich gemacht wird. Solche Texte machen Spaß, weil sie sich nicht mit moralischen Skrupeln aufhalten, dafür aber den Leser voller Fragen zurücklassen. Deshalb sind sie bis heute nicht in die Jahre gekommen. Irgendwann ist einmal von Spades Sockenhaltern die Rede - und erst dann stellt man verblüfft fest, dass das so moderne Buch schon von 1930 ist. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2006)