Im Jahr 1996 aus dem KHM gestohlen, jetzt wieder aufgetaucht: das rund 2200 Jahre alte ägyptische Totenbuch aus der Zeit von Ptolemaios II.

Foto: Polizei

Trotz Inventarnummer auf der Rückseite hatte die Polizei einige Probleme, den rechtmäßigen Besitzer des Papyrus zu finden.

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Vor zwei Monaten konnte das Objekt sichergestellt werden: Der Polizei wurde absolute Vertraulichkeit aufgetragen.


Wien - War der mittlerweile geklärte Diebstahl der Saliera ein singulärer Fall, wie Wilfried Seipel, Ägyptologe und Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums in Wien, zu beschwichtigen versucht?

Dem STANDARD vorliegende Informationen deuten auf das Gegenteil hin: Erst vor wenigen Wochen übergab die Polizei dem Museum einen schmalen Papyrus in hieratischer Schrift (14 Zentimeter breit und 34 cm hoch). Es handelt sich dabei um ein ägyptisches Totenbuch aus der Zeit von König Ptolemaios II. Philadelphos, der 246 vor Christus starb.

Der Papyrus habe, so die Polizei, einen "unschätzbaren Wert". Vom STANDARD kontaktierte Wissenschafter bezweifeln dies: Solche Totenbücher seien in großer Zahl und in der Regel mit einem Standardtext hergestellt worden; zudem weise das Objekt keine Malereien oder Vignetten auf.

Die Pikanterie aber ist die Geschichte: Die Öffentlichkeit wurde über den Diebstahl nie in Kenntnis gesetzt. Entwendet wurde das Objekt samt Rahmen bereits am 19. November 1996. Ein der Polizei namentlich bekannter Verdächtiger soll den Gegenstand während der Öffnungszeiten in der ägyptisch-orientalischen Abteilung von der Wand abmontiert, unter seiner Jacke versteckt haben und dann aus dem Gebäude spaziert sein.

Dem mutmaßlichen Täter gelang es in der Folge nicht, den Papyrus zu verkaufen. Über Umwege - und eine Informantin - gelangte das Artefakt schließlich vor zwei Monaten in Polizeigewahrsam. Die Übergabe fand am 30. November 2005 in der Hundertwasser-Autobahnraststätte bei Wiener Neustadt statt.

Die Ermittlungen zur Provenienz des Papyrus gestalteten sich schwierig: Das Artefakt war nicht mehr auf der Liste der gesuchten Kunstgegenstände zu finden. Zudem waren die damals zuständigen Dienststellen mittlerweile wegreformiert worden: Der Akt mit der entsprechenden Diebstahlsanzeige konnte erst nach mühsamen Recherchen ausfindig gemacht werden. Dabei soll den Beamten aufgefallen sein, dass die Anzeige vom Museum erst drei Monate nach der "Entfremdung" erstattet wurde.

Völlige Geheimhaltung

Als sich herausstellte, dass der Papyrus aus dem Kunsthistorischen Museum stammte, lief die Amtshandlung unter völliger Geheimhaltung. Der Polizei wurde absolute Vertraulichkeit aufgetragen.

Gegen den Beschuldigten liegt derzeit kein Haftbefehl vor, weil zwingende Sachbeweise fehlen. Auf dem Papyrus wurden zwar Fingerabdrücke sichergestellt, diese passen aber nicht zu dem Beschuldigten. Die Staatsanwaltschaft wurde noch nicht über die jüngsten Ermittlungen informiert, der Polizeibericht ist noch nicht fertig.

"Entfremdungen" gibt es immer wieder: 1983 wurden drei Prunkwaffen gestohlen. Sie tauchten aber im Nachlass des Diebes auf - und konnten an das Kunsthistorische Museum zurückgegeben werden.

Und 1984 wurden zwei goldene Pistolen des französischen Königshauses aus dem 17. Jahrhundert entwendet. Der damalige Direktor der Hofjagd- und Rüstkammer hatte den Befehl, die Wandvitrinen zumindest mit Schrauben zu sichern, nicht ausgeführt. Die Pistolen waren den Rothschilds nach dem Zweiten Weltkrieg im Gegenzug für eine Ausfuhrgenehmigung ihrer Sammlung abgepresst worden. Eine Pistole wurde gefunden und restituiert, die zweite ist verschollen.

Seipel: ägyptische Sammlung sei damals "noch nicht entsprechend gesichert" gewesen

Wilfried Seipel, der trotz mehrfacher Anfrage für den STANDARD nicht zu sprechen war, bestätigte am Abend gegenüber der APA, dass das Objekt erst vor zwei Monaten sichergestellt werden konnte. Die ägyptische Sammlung sei damals, vor der Neuaufstellung, "noch nicht entsprechend gesichert" gewesen, so Seipel. Das gestohlene Papyrus sei "zwischen 300 und 400 Euro" wert.

Dass der Polizei absolute Vertraulichkeit aufgetragen worden sei, sei "die normale Vorgangsweise", meinte Seipel. Ob seitens des KHM tatsächlich erst drei Monate nach der Tat Anzeige erstattet wurde, daran konnte Seipel sich nicht erinnern. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.2.2006 /APA)

Nachtrag

Am 2. Februar stellt das Kunsthistorische Museum in einer Aussendung richtig, dass noch am selben Tag des Diebstahls dieser vom Sicherheitsreferat des KHM der Kripo gemeldet wurde. Auch Vertraulichkeit sei mit der Polizei nicht vereinbart worden.

>>>Ptolemaios II.

Ptolemaios II.

Ptolemaios II. Philadelphos wurde 308 oder 306 v. Chr. als Sohn von Ptolemaios I. geboren, er starb 246 v. Chr. auf Kos. Seit 285 war er Mitregent und von 282 oder 283 an König von Ägypten. Seine militärischen Vorstöße und Küstengarnisonen in Äthiopien und Arabien sicherten die Handelswege nach Indien. Auch trug er viel zur Entwicklung Alexandrias bei und förderte die Wissenschaft und Literatur. Er eroberte im Ersten Syrischen Krieg (274-271 v. Chr.)

Teile Kleinasiens und der Ägäis von Antiochos I. Im Chremonidischen Krieg (266-261) versuchte er vergebens, Athen gegen Antigonos II. zu unterstützen; 255 verlor er eine Seeschlacht bei Kos, die Herrschaft über die Ägäis ging an Antigonos über. Ptolemaios heiratete um 277 ein zweites Mal - seine Schwester Arsinoe II. Sie erhielt den Beinamen "Philadelphos" (Liebhaber des Bruders), der schließlich auch für ihn verwendet wurde. (trenk)