Erinnerungen an Brachial-Protest anno 2004 (Christian & Michael): In puncto Bühnen-Performance dürfen wir aufs Finale gespannt sein. In die Wertung soll(t)e sie, wie auch schon beim Vorentscheid, nicht einfließen.

Foto: Feßler
© Visual Artist: Chili Gallei für das Rabenhof Theater
Wien - Einer muss immer schuld sein. Oder nicht? Und weil das so einfach ist, sind es diesmal die JurorInnen. Basta. Die waren sich viel zu uneinig und obendrein, bis auf zwei Ausnahmen, sehr naseweis unterwegs. Wenn schon obergscheite Kommentare, dann wollen wir sie lieber von angegrauten Eminenzen wie Fritz Ostermayer hören, der diesmal schmerzlich abging.

Eine Spur glatter

Das entzückend-hässliche ÖGB-Kongresshaus bot vergangen Samstag unter seinen Sechziger-Jahre-Lustern nicht nur eine von Rauch und Bier, sondern auch von Protest geschwängerte Luft - sowohl auf der Bühne als auch im Publikum. Dennoch: Unverwechselbares wie in den beiden Vorjahren stach aus 25 TeilnehmerInnen nicht heraus. Inhaltlich alles eine Spur glatter und unverbindlicher, musikalisch teilweise professioneller - und wenn nicht, so verteidigte Juror Kucera: "Protest kann nicht perfekt sein".

Überzeugend auch ohne Talent

Coverversionen mit neuem Text zu versehen blieb 2006 - wenn auch erfolgreich - die Ausnahme: Ganshaut vergriff sich erfolgreich an Freddy Quinns "Seemann". Aurelie Maronif hatten hingegen zuviel Stereo Total intus. Mit keck gemeinten Hüftschwüngen, 'agsent'vollem Gelispel und den eingestreuten Signalwörtern "Schnackseln", "Muschi" und "Schüssel" gelang es, eine an sich geschlechter-paritätische Jury trotz Talentlosigkeit zu beeindrucken. - Sonst: Sehr viele Eigenkompositionen, Stilrichtungen und ein Einzugsgebiet, das Teilnehmer bis aus Niederbayern anlockte. Das steht alles für die zunehmende Etablierung des zum dritten Mal stattfindenden Contests.

Immun gegen die Achtziger

Publikum und auch Jury zeigten sich immun gegen allerlei Reminiszenzen an die Achtziger: Zum Beispiel die akustische Reinkarnation von Schlagerstar Nicole samt Gitarre: Statt "Ein bisschen Fritten" sang Gandharvika von den armen Tieren. Die versammelten FleischesserInnen würgten fast ihre gerade verspeisten gewerkschaftlichen Wurstsemmeln wieder raus. Oder etwa das als Synthie-Pop-Vertreter angekündigte Cafe Amigo: Rein musikalisch erinnerte das viel eher an aufgemotztes Modern Talking, optisch an den Siebziger-Travolta mit verspiegelter Ray-Ban. Eigentlich herrlich, aber um Trash-Culture gehts im Bewerb immer weniger. Ach, und dann schien es noch so, als wären Alphaville da gewesen: Aber auch Binnenland bekamen für das "dahin mäandern" (the gap) von "I want my Blue Danube Radio back" kein Ticket ans Meer.

Ein Quäntchen Politik

Ein bisschen Tagespolitik bringt Börn ins Finale ein. Den St. Pöltner pisste der FPÖ-Wahlkampf vergangenen Herbst derart an, dass daraus angeblich binnen fünfzehn Minuten ein in Stimme, Musik und Text bombiger Song entstand: "Bleib du mit Dir" sorgte für Zwischenapplaus und Jubel beim Saalpublikum. - Zustimmung, wenn auch nicht die entscheidende Jury-Empfehlung, fand die Wiener Neustädter Bürgerliste F.U.C.K. Neben dem Finale verpassten die Jungs auch den Einzug in den Gemeinderat, dürfen sich mit "Traut doch Traude!" aber zumindest einen Teilerfolg auf die Fahnen heften. Die SP-Bürgermeisterin Traude Dierdorf trat im Oktober zurück.

"Schon Orwells '1984' war so paranoid", bemerkte UTV-Juror Baumgartner zum gesellschaftspolitischen Thema Überwachung an. Mit dieser Meinung stand er recht alleine da, und so darf die BeamtInnen-Kombo d'vision am 12. Februar nochmals ihre Nackt-Erfahrungen vom videoüberwachten Schwedenplatz vor sich hin trällern. Mehr als musikalisch professionelles Tralala wäre von der Protest-Fusion der burgenländischen HipHop- und Pop-Acts Hoerspielcrew und Garish zu erwarten gewesen. Ihr Song "Vermögen" plätscherte mehr ins Finale.

Leises und Trauriges

Gespannt sein darf man darauf, wie in zwei Wochen der leise, nachdenkliche und auf mehr Appetit machende Song "Amerika" von Phoneten abschneiden wird. 2004 hat es mit "Die Weisheit mit dem Löffel" schon einmal eine Ballade ganz noch oben geschafft.

Die Zehner-Auswahl ist nicht die schlechteste, dennoch bleibt ein bisschen Traurigkeit: Kein Punk-Rock der Marke "Tote Hosen" mit noch viel mehr toten Weihnachtsmännern (Christoph & die Kirchturmspitzen). Und: Wieder kein Stimmgewitter im Finale. Der bereits zum dritten Mal gescheiterte Obdachlosenchor hätte es sich mit Unterstützung der Bassena Boyz dieses Jahr endlich verdient. Ebenso fehlt der stimmlich recht ordentliche Beitrag von Singer-Songwriterin Margret Galler. Das schier endlose, deswegen nicht minder famose Protest-Potenzial der Punk-Rocker k-punkt (Drittplatzierte 2005) wird man leider auch nur auf deren im April erscheinendem Longplayer erfahren können. Aber wie sie selbst singen: "Was zuviel ist, ist zuviel". (Anne Katrin Feßler)

Die zehn FinalistInnen in alphabetischer Reihenfolge:

  • aurelie maronif: Subversiv

  • Börn: Bleib du mit dir

  • d´vision: Nackert auf´m Schwedenplatz

  • Ganshaut: Seemann

  • Hoerspielcrew feat. Garish: Vermögn

  • Jörg Zemmler: Wir sind die Kleinen

  • Peter Kastner: Klo aufm Gang

  • Phoneten: Amerika

  • Remasuri: the Austrian way (of singin´ the blues)

  • Seelenwärmer: Globalisierungskinder



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    >>>Mehr über die zehn Finalisten am kommenden Montag in einer An-Hör-Sache.