Sepp Rieder liebt die politische Auseinandersetzung. Nach einer "Phase der Angriffslust" ist er aber sanfter geworden. Motivation schöpft der Langzeit-Politiker bei hochalpinen Touren.

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Finanz- und Wirtschaftsstadtrat Sepp Rieder ist das längst dienende Mitglied der Stadtregierung.

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Wien – "Man darf nichts herschenken, muss aber auch respektieren, dass der andere sein Gesicht wahren will." Sepp Rieders Blick ist ruhig und geradlinig, während er seine Verhandlungsstrategie beschreibt. "Du musst versuchen, dass jeder aus dem Ergebnis – vermeintlich oder tatsächlich – etwas Positives ableiten kann. Alles andere ist kaschiertes Nachgeben oder Unterwerfen und das war nie mein Stil."

Seinen Ruf als zäher Verhandler hat Sepp Rieder, Wirtschafts-, Finanzstadtrat und Vizebürgermeister, vor allem den Finanzausgleichsverhandlungen 2004 zu verdanken, wo er den Ländern und nicht zuletzt Bürgermeister Michael Häupl unersetzliche Dienste erwies. An Gelegenheiten, diesen Ruf zu verteidigen, mangelt es dem Herrn über die mit rund zehn Milliarden Euro gefüllte Stadtkasse nicht: Derzeit ringt er mit Minister Karl-Heinz Grasser um die Finanzierung des U-Bahn-Ausbaus nach 2010.

Hofer-Mathematik

Angesichts steigender Ausgaben für Soziales, Bildung und Arbeitsmarktpolitik hat sich der mit Abstand am längsten dienende Stadtrat ein ökonomisches Konzept zugelegt, das eingängig ist und "bürgernah" wirkt: Das "Hofer-Prinzip". "Mit punktgenauer Analyse aller Bereiche soll jede kleinste Möglichkeit genutzt werden, effizienter zu arbeiten. Damit erspart man sich große Kahlschläge," ist Rieder überzeugt. Bis 2010 sollen auf diese Weise 400 Millionen Euro an zusätzlichen Kosten eingespart und der Schuldenstand von 1,5 Milliarden Euro gehalten werden. Auch wenn Rieder einräumt, privat "nicht von Billigmarkt zu Billigmarkt" zu gehen.

Die Opposition schätzt Rieder als geschickten Pragmatiker mit hohem Zahlenverständnis. "Es gibt aber oft einen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis," konstatiert der Grüne Finanzsprecher Martin Margulies. Trotz Kritik an der neoliberalen Politik des Bundes sei Rieder "Grassers bester Schüler."

Unbestritten ist, dass Rieder als "alter Hase" eine wichtige Rolle innerhalb der SPÖ spielt. 1939 geboren, kann der Jurist auf eine lange und abwechslungsreiche Karriere zurückblicken: Nach einer Laufbahn als Richter und Beamter im Justizministerium – wo er unter SP-Minister Christian Broda maßgeblich an der Strafrechtsreform beteiligt war – zieht Rieder 1983 in den Nationalrat ein. Fünf Jahre später wird er zum Landesparteisekretär der Wiener SPÖ bestellt, 1989 holt ihn Bürgermeister Helmut Zilk ins Gesundheitsressort, wo er Österreichs erste Patientenanwaltschaft einrichtet und die Spitalsreform vorantreibt. Im Jahr 2000 wechselt er auf den Posten des Finanzstadtrats. Daneben ist der Vater zweier erwachsener Kinder Präsident des Bundes Sozialdemokratischer Akademiker (BSA) und der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft.

Der häufige Wechsel der Berufsfelder sei auch entscheidend für seine nach wie vor ungebrochene Motivation, glaubt Rieder. In den Augen von VP-Klubobmann Matthias Tschirf hat er seine frühere Reformkraft eingebüßt: Er kreidet Rieder wirtschaftspolitische Fantasielosigkeit an. Rieder selbst gesteht: "Ich möchte meine Phase der Angriffslust nicht missen, jetzt bin ich aber sanfter."

Auf die Frage, ob er beim nächsten Finanzausgleich 2008 wieder am Tisch sitzen wird: "Das ist nicht meine Absicht." Dem Verdacht auf (Amts-)Müdigkeit trotzt Rieder unter anderem mit Konditionstraining. Neben Schwimmen und Laufen stürmt er die Gipfel der Tiroler Berge oder schwingt das Tanzbein mit seiner Frau. Dieser hat er auch sein "mannigfaltiges kulturelles Interesse" zu verdanken, insbesondere die Liebe zur klassischen Musik. (Karin Krichmayr, DER STANDARD – Printausgabe, 27. Jänner 2006)