Vranitzky: "Ich habe immer davor gewarnt, in einem Land wie Österreich den Versuch zu machen, die braune Karte zu spielen."

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STANDARD: Wenn Sie an das wechselvolle Jahr 1986 zurückdenken, welches Ereignis erscheint Ihnen rückblickend am wichtigsten?

Vranitzky: Sicherlich nicht Haider. Das wichtigste war, nach Beendigung der SPÖ-FPÖ Koalition durch den Einzug Haiders an die Spitze der FPÖ die daraus notwendig gewordene Nationalratswahl zu schlagen.

STANDARD:Wie schnell mussten Sie damals reagieren?

Vranitzky: Ich konnte sehr schnell und unmittelbar reagieren, weil ich mit Norbert Steger in halbstündigem telefonischen Kontakt war. Er rief mich vom Parteitag in Innsbruck an und teilte mir den Stand der Dinge mit. Es muss sehr dramatisch und für ihn sehr demütigend gewesen sein. Ich war vorbereitet und wusste, was ich zu tun hatte. Ich habe die Entscheidung noch in dieser Nacht getroffen. Ich habe mich mit Sinowatz in Verbindung gesetzt - ich war ja noch nicht Parteivorsitzender - und ihm mitgeteilt, dass ich die Koalition nicht fortsetzen werde. Ich habe auch Kreisky angerufen, der ja der Gründervater dieser rot-blauen Zusammenarbeit war.

STANDARD: Was war seine Reaktion?

Vranitzky: Das Erste, was er sagte, war: Na ja, du wirst halt mit der ÖVP gehen müssen. Darauf habe ich gesagt: Ja, da wird wohl nichts anderes übrig bleiben.

STANDARD: Die kleine Koalition war in der SPÖ ohnehin nicht sehr beliebt, oder?

Vranitzky: Ein großer Teil der SPÖ, inklusive sozialdemokratischer Regierungsmitglieder, sind mit dieser Konstellation nicht wirklich warm geworden. Im Parteiapparat hatten viele Funktionäre nicht wirklich zur Kenntnis genommen, dass die Zeit der absoluten Mehrheit vorbei ist. Dabei haben sich die freiheitlichen Minister bemüht und waren auch engagiert. Insbesondere die Gewerkschafter konnten mit den Freiheitlichen ganz besonders wenig anfangen.

STANDARD: Damals stand eine konservative Wende im Raum, die ÖVP versuchte, Kontakt mit der FPÖ aufzunehmen?

Vranitzky: Mein Wissensstand ist der, dass Mock gar nicht abgeneigt gewesen wäre, dass er aber mit dieser Variante in der eigenen Partei nicht durchgekommen ist.

STANDARD: Sie haben die Waldheim-Affäre als Minister aus nächster Nähe miterlebt. Die SPÖ glaubte, mit einem scharfen Wahlkampf um seine Vergangenheit gewinnen zu können. Waren Sie auch dieser Meinung?

Vranitzky: Ich habe immer davor gewarnt, in einem Land wie Österreich den Versuch zu machen, die braune Karte zu spielen. Dann kamen ja noch die Zurufe aus dem Ausland und von jüdischen Gruppen. Für mich war abzusehen, dass das Waldheim eher nützen als schaden würde.

STANDARD: War das Jahr 1986 rückblickend ein Wendejahr?

Vranitzky: 1986 ist vieles aufgebrochen. Es kam nach langen Jahren zu sehr offenen Worten über die NS-Vergangenheit prominenter Österreicher und zu Diskussionen, wie das offizielle Österreich mit der Vergangenheit des Landes in den Jahren 1938 bis 1945 und danach umging.

STANDARD: Sie haben erst 1991 die österreichische Mitschuld an Nazi-Verbrechern öffentlich eingestanden, warum so spät?

Vranitzky: 1986 wäre falsch gewesen, weil das öffentliche und politische Leben viele Blessuren hatte. Ich wurde von vielen Liberalen und Linksstehenden darauf angesprochen, aber ich habe es absichtlich nicht getan. Denn gerade in einer so krisenhaften Situation müssen die Institutionen im Staat funktionieren. Bevor ich so viel Zeit für Waldheim verwenden muss, trete ich lieber zurück, habe ich damals gesagt, weil eine Bundesregierung auch andere Dinge zu tun hat. Die Konstitution des Landes war nicht so stark.

STANDARD: Wie würden Sie das, was 1986 passiert ist, Ihren Enkelkindern erklären?

Vranitzky: Dass es bei allen Zerrüttungen und bei der Abstempelung Österreichs als Skandalrepublik auch zu Klärungen gekommen ist und dass man politisch, ökonomisch und kulturpolitisch zu neuen Ufern gehen konnte. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.1.2006)