Der Winter in Sarajevo ist eine gute Gelegenheit, die mitunter recht kuriosen Caféhäuser der Stadt kennen zu lernen. Theoretisch könnte man natürlich auch zum Skifahren kommen.

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"Die Einflüsse von Ost und West suchen in Bosnien ihre endgültige Versöhnung", sagte Juraj Neidhart, einer der berühmtesten Stadterbauer von Sarajevo, das immer wieder ein wenig ehrfürchtig auch als "kleines Jerusalem" bezeichnet wird. Und tatsächlich in Längsrichtung, eben von Ost nach West, reihen sich die geschichtlichen Etappen der Stadtentwicklung aneinander, die momentan durch verbotenen Wildbau in den Hügeln um Sarajevo zusätzlich "angekurbelt" wird.

Den orientalischen Charakter bekam die Stadt im wesentlichen von Gazi Husrev im beginnenden 14. Jahrhundert verpasst. Zahllose Bauten wie etwa eines der wenigen erhaltenen originalen Hamams aus dem Osmanischen Reich zieren das Bild der heutigen Altstadt Bacarija. Aber was hat die Stadt außer großer Namen und einer vielfältigen Vergangenheit zu bieten?

Auch im Bereich der Kunst blieb eine Art "Wildwuchs" auf bemerkenswerte Weise erhalten. Im Sommer 1995 wurde noch unter Bombardierung der Stadt das international hoch gelobte Sarajevo Filmfestival ins Leben gerufen. Die berühmtesten beiden, Emir - oder wie er jetzt heißt Nemanja - Kusturica und Goran Bregovic waren die ersten, die hier zum internationalen Standing Bosniens beitrugen. Das mittlerweile 12. Festival findet heuer von 18. August bis 26. August statt. In dieser Zeit herrscht Karnevalstimmung und es ist nahezu unmöglich ein Hotelbett zu ergattern.

Das Hotel Holiday Inn, eine moderne Ikone der Stadt, die man noch als Standbild und Unterschlupf der Kriegsberichterstatter im Gedächtnis hat, wird mittlerweile von der österreichischen Grand Media Center Gruppe in die größte Kongress- und Hotelanlage Südosteuropas umgebaut. Das brachte vorerst drei Sterne und Zimmerpreise, die knapp unter 100 € beginnen.

Kunst ohne Raum

Ein außergewöhnliches Kunstprojekt, das Ars Aevi - interkulturelles Zentrum und Museum für zeitgenössische Kunst - ist nur wenige Gehminuten vom Holiday Inn entfernt. Ars Aevi wurde bereits 1992 als pazifistisches Widerstandszeichen gegründet und ist bis dato wahrscheinlich einzigartig geblieben: Das Museum mit einem immensen Kunstschatz, der aus Spenden stammt und Werke von Michelangelo Pistoletto bis Franz West umfasst, besitzt nach wie vor kein kein Museumsgebäude. Der italienische Stararchitekt Renzo Piano sucht noch nach einem fixen Standort für die Sammlung und die Verantwortlichen der Stadt nach den notwendigen Finanzmitteln.

Der Winter steht Sarajevo ausgesprochen gut, die Stadt mit ihren knapp 450.000 Einwohnern wird von zum Teil über 2000 Meter hohen Bergen umgeben: Ideale Ski- und Wintersportgebiete also mit den beiden Bergen Bjelasnica und Jahorina, die nur 20 Autominuten von der Stadt entfernt liegen. Die Special Olympics, die weltweit größte Sportbewegung für geistig und mehrfach behinderte Menschen konnte man für 2009 bereits nach Sarajevo holen, für die kommenden Olympischen Winterspiele befindet sich die Stadt gerade in der Bewerbungsphase.

Aktuell ist natürlich auch in Sarajevo "Caféhaus-Zeit" und die Wahlmöglichen fallen üppig aus: Im "Caffe Tito", freilich nach dem Volkstribunen Josip Broz benannt, sitzt man immer irgendwie auch in einem Museum. Das Lokal ist mit Memoiren und dem "Geist des Marschalls" vollgehängt. Daneben wird eigenes Bier ausgeschenkt, die T-Shirts mit einschlägigen Motiven gibt's zum Mitnehmen.

Schneidige Läden

Kuriositäten sind wohl überhaupt die Sache der Menschen in Sarajevo: Der Friseur Uzeir Skaka schneidet gerne. Aber eben nicht nur als als Friseur, sondern auch als Beschneidungsmeister. Der Preis bleibt immer gleich: Zwei Euro möchte Skaka haben, für den Haarschnitt ebenso wie für die professionelle Beschneidung. Eine kleine Reisekassa kann man in und um Sarajevo aber auch relativ ungefährlich verjubeln: Auf den Märkten Bacarijas können selbstproduzierte Ledersachen, Schuhe oder Schmuck erfeilscht werden. Auf dem Marktplatz Markale werden Tomaten so groß wie Grapefruits angeboten und Grapefruits so groß wie Melonen.

Wer traditionell essen möchte, geht ins "Aeroplan", das schon seit der osmanischen Epoche der Stadt seine Gäste bewirtet. Der Burek ist natürlich die authentischste Wahl und wird hier nach Familienrezept mit Käse, Kartoffeln, Spinat gefüllt und reicht für mehrere Mahlzeiten. Slatki Butik, die "süße Boutique", ist ein Muss für alle, die zwischendurch nach schnellen Glückshormonen suchen. Sie liegt angenehmerweise immer irgendwie auf dem Weg in der wunderbaren Fußgängerzone Ferhadija, die auch die Schnittstelle zwischen Orient und Okzident bildet.

Wenn man kreisförmig durch Sarajevo schlendert und sich an die große Einfahrstraße "ulica marala" hält, wird es einem schwer fallen, sich in dieser Stadt zu verirren. Und wer erst einmal die elf Stunden lange Busfahrt von Wien hinter sich gebracht hat (nach wie vor die effektivste Anreisemöglichkeit), der wird sich dem natürlichen Zauber der Stadt nur schwer entziehen können. (Der Standard, Printausgabe 21./22.1.2006)