Foto: STANDARD/Robert Newald
Am Freitag legte eine anonyme Drohung das Belvedere vorrübergehend lahm. Ein Unbekannter hatte gedroht, die für die Restitution freigegebenen Bloch- Bauer-Bilder zu zerstören, um ihre Rückgabe zu verhindern. Wie sich schnell herausstellte, war der Täter kein Ewiggestriger, sondern laut Agenturberichten "ein Niederösterreicher mittleren Alters in Partystimmung". Nach dessen Identifizierung dürfte nun aber der Wiederaufnahme der larmoyant inszenierten letzten Zurschaustellung der Bilder (frei nach dem Motto "Sag zum Abschied leise servus...") und dem großen Hoffen auf einen doch noch einsetzenden Run auf Adele wohl nichts mehr im Wege stehen.

Ungeachtet seines offenbar eher skurrilen als Besorgnis erregenden Hintergrunds erscheint der Vorfall dennoch symptomatisch – weil er sich nahtlos in ein von Pannen und Peinlichkeiten geprägtes Gesamtbild einfügt, das insbesondere die zuständige Ressortministerin zu verantworten hat. Dass ein Kompromiss bekanntlich die Bereitschaft zu oft schmerlichen Abstrichen erfordert – im Klartext: dass Österreich Marktpreise bieten muss, um enteignete Kunst zu erwerben – scheint sich hier zu Lande noch nicht herumgesprochen zu haben. Zumindest nicht bis ins Bildungsministerium.

Ähnliches kennt man schon von Rudolf Leopold, der in einem weiteren in den USA anhängigen Verfahren geradezu zielsicher auf einen Abgrund zusteuert. Auch der Sammler kann sich, trotzdem die Gewinnaussichten in dem mittlerweile seit acht Jahren währenden Streit um das vom New Yorker Staatsanwalt beschlagnahmte Schiele-Bild "Porträt der Wally" äußerst gering sind, zu keiner Einigung mit den Erben der ehemaligen Eigentümerin Lea Bondi Jaray durchringen.

Einen konstruktiven Lösungsvorschlag blieb Leopold bis dato auch im Fall von Schieles "Häuser am Meer" aus der enteigneten Sammlung Jenny Steiner schuldig – ein Fall, zu dem Gehrer 1999 feststellte, hier möge gleiches Recht wie in den Bundesmuseen gelten. Leopolds Reaktion auf den Vorwurf des unrechtmäßigen Besitzes beschränkte sich auf die Beauftragung von Rechtsgutachten zwecks Bescheinigung, dass seine Privatstiftung nicht unter das Rückstellungsgesetz falle und er zur Restitution daher gar nicht in der Lage sei.

Die Folge dieser sturen Verweigerungshaltung: die fahrlässige Verprassung kultureller Ressourcen. 3,5 Millionen Euro kostete den Bund die Altmann-Klage, in derselben Größenordnung sind wohl auch die Kosten des Wally-Verfahrens anzusetzen – ein Vielfaches der Summe, die für die laufende Provenienzforschung in sämtlichen Bundesmuseen seit 1998 verfügbar gemacht wurde.

Dabei hat das Schiedsgericht zuletzt keine Evidenz behandelt, die für den Restitutionsbeirat nicht auch schon 1999 erkennbar gewesen wäre, sondern diese lediglich neu bewertet. Was ist vor diesem Hintergrund jenen anderen Familien zu raten, deren Ansprüche der Beirat bis dato ablehnte? Etwa den Nachkommen Rudolf Gutmanns, deren Anspruch auf ein im Kunsthistorischen Museum (KHM) befindliches Gemälde von Barthel Bruyn man im letzten Jahr zurückwies, oder den Nachkommen Richard Neumanns, die auf fünf Objekte aus dem KHM, darunter zwei Altarflügel von Maerten van Heemskerk, laut Beiratsentscheid verzichten sollen? Letztere erhielten bis dato keinerlei Mitteilung über den bereits im vergangenen Frühjahr gefassten Beschluss oder dessen Begründung. Muss ihnen in Ermangelung eines durchsetzbaren Rechtsanspruches nun auch der Klagsweg empfohlen werden? Oder müssen sie vor einem Verfahren, das ihnen weder Parteienstellung noch Rekursmöglichkeit einräumt, kapitulieren?

Österreich täte gut daran, diese eines Rechtsstaats unwürdigen Unzulänglichkeiten umgehend abzustellen und der Gremial- und Geheimjustiz (wie sie der Anwalt Alfred J. Noll treffend bezeichnet) eine Ende zu setzen.

Immerhin: Der Wunsch der Republik, zumindest zwei der fünf Klimt-Gemälde zu erwerben, stellt ein Novum dar und ist begrüßenswert. Seit 1998 hat sich der Bund nämlich in keinem einzigen (!) Restitutionsfall um den Rückkauf eines Objektes bemüht. Das stetige Beschwören der Bloch- Bauer Porträts als Ikonen österreichischer Identität basiert allerdings auf einem Kulturverständnis, das das Erbe der großen jüdischen Kunstsammler und Mäzene für sich beansprucht, ohne dessen Protagonisten zu würdigen.

In Anlehnung an einen Ausspruch des von den Nazis vertriebenen Kunsthistorikers Hans Tietze wäre der Wahrung der viel zitierten "österreichischer Kulturinteressen" jedenfalls in einem viel positiveren Sinne gedient, würde man die erwähnten Bilder an prominenter Stelle im Ausland zeigen, statt deren Rückgabe zu verweigern. Tietze hat diesen Gedanken übrigens bereits 1950 formuliert – im Versuch, namens Annie Wolff- Knize die Ausfuhrgenehmigung des Schiele-Bildes "Liegende Frau" zu erwirken. Seine Worte fanden schon damals kein Gehör: Das Bild wurde für die Ausfuhr gesperrt, von Rudolf Leopold erworben und befindet sich heute im Leopold Museum ... (DER STANDARD, Printausgabe, 21./22.1.2006)