Immer nur Spielsachen und Wäscheklammern zu produzieren, wird fad. Dinge des täglichen Lebens, die in Behindertenwerkstätten gefertigt werden, müssen nicht langweilig sein - das zeigt eine Reihe mutiger Projekte aus Deutschland und Österreich. Nehmen wir zum Beispiel "DIM - Die Imaginäre Manufaktur". Zusammen mit der Berliner Blindenanstalt erprobte das Designerteam Vogt+Weizenegger vor etwa acht Jahren eine erste Zusammenarbeit von Designern mit Behinderten. Ihr Ziel war es, praktische und gut gestaltete Gegenstände aus natürlichen Materialien zu entwerfen und gemeinsam zu vermarkten. Mittlerweile gehören originelle Produkte namhafter Designer wie Matali Crasset oder Konstantin Grcic zum Programm. Crassets Schmuckdose aus Bürstenelementen oder Grcics Schuhputzbeutel mit einer Bürste als Standfläche stehen für ein humorvolles Designverständnis.

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Der Erfolg kam unerwartet, und das gleich auf mehreren Kontinenten: Die DIM-Produkte gibt es heute in amerikanischen Museen ebenso wie in japanischen Designläden oder europäischen Onlineshops. "Besonders für junge Designer ist die Zusammenarbeit mit den Behindertenwerkstätten ein ideales Feld zum Ausprobieren", sagt Projektleiter Oliver Vogt. Bei der Vermarktung liegt die Betonung auf Design und Qualität. Dass die Produkte von Behinderten gemacht sind, steht nicht im Vordergrund. Die Käufer sollen sich nicht aus Mitleid für DIM entscheiden, sondern weil ihnen die Sachen gefallen.
Wie DIM ist "Side by Side" nicht einfach eine Sammlung von Gegenständen, die in sozialen Einrichtungen hergestellt werden. Das Projekt der bayerischen Caritas Wendelstein Werkstätten ist vielmehr eine Kollektion hochwertiger Produkte, das sich selbstbewusst als durchgestaltete Marke mit Logo und eigener Website darstellt. Auch "Side by Side" gibt jungen Gestaltern eine Chance.

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Die Produkte der Linie bestehen aus puren, natürlichen Materialien wie Filz oder gewachstem Holz. Viele von ihnen sind mit einem Augenzwinkern verbunden wie das Bügelbrett "Au pair", das mit einem Täschchen namens "TV-Maid" für die Fernseh-Fernbedienung ausgestattet ist. Originelle Entwürfe mit Designanspruch vermarktet auch die österreichische "Handover" Sozial- und Handelsgesellschaft unter dem Label "Insieme". Die Kooperation mit "Side by Side" sieht man der Homepage an, denn beide arbeiten mit ähnlichen Bildauffassungen und einem aktuellen Orangeton für die Logos. "Lucky Fruits" heißt eine Obstschale, die auf besondere Weise "funktioniert" und obendrein zum Spielen einlädt. In der Holzschale mit Ahorn- oder Nussfurnier haben mindestens neun glückliche Früchtchen Platz. Das Prinzip ist einfach, aber einfallsreich: Ein Quadrat mit drei mal drei Löchern wird so verformt, dass es hin- und herschaukeln kann. Äpfel, Birnen oder Orangen können einzeln in die Öffnungen gelegt oder zu einer stabilen Pyramide gestapelt werden. Designer Harald Guggenbichler lässt seinen Entwurf in der "Geschützten Werkstätte Vomp" in Tirol anfertigen.

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Das jüngste Projekt von Designern und Behinderten heißt "Loony Design", eine Kooperation von Stuttgarter Designstudenten mit den Behindertenwerkstätten der Diakonie Baden. Winfried Scheuer, Professor für Industriedesign und Projektleiter, erinnert sich an die Dinge, die dort ursprünglich fabriziert wurden. Unattraktiv und austauschbar seien sie gewesen. Die neuen Entwürfe präsentieren sich ganz anders: ironisch, frech und oft auch als Readymades wie "Mr. Wilson". Den dreidimensionalen Smiley kann man mit einem Saugnapf an Badkacheln befestigen und ihm bei Bedarf einen Handtuchzipfel in den Mund stopfen. Der Hintergrund des Projektes ist da schon ernster: Die Mitarbeit bei "Loony Design" gibt den jungen Designern aus der Phase des Lernens und Experimentierens heraus einen ersten Einblick in ihre zukünftigen komplexen Arbeitswelten - von der ersten Idee bis zum Vertrieb.

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Über "Side by Side" berichtete die japanische Ausgabe des Magazins Esquire zum Thema deutsches Design. Wegen des großen Interesses gibt es nun auch einen kleinen Katalog der Marke auf Japanisch, erklärt Boris Simon vom Designbüro "factor product", der das Projekt betreut. "Es ist schon witzig, wenn Japaner Sushibretter und Essstäbchen aus Deutschland kaufen."

www.sidebyside-design.de; www.insieme.cc
www.loony-design.de; www.blindenanstalt.de

(Heike Edelmann/Der Standard/rondo/20/01/2006)

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