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Foto: EPA/Sloan
Der allmächtige US-Verbraucher hatte 2005 ein weiteres erfolgreiches Jahr, in dem er zur Aufrechterhaltung des globalen Wirtschaftswachstums beitrug, wenngleich in einem langsameren Tempo als 2004. Wie schon in den letzten Jahren waren seine Ausgaben genauso hoch oder höher als sein Einkommen, dabei haben die USA insgesamt über ihre Verhältnisse gelebt und sich von der übrigen Welt fieberhaft Geld geliehen - über zwei Milliarden Dollar am Tag.

Vor einem Jahr behaupteten die meisten Wirtschaftsweisen, dies sei nicht tragbar. Offensichtlich konnte es aufrechterhalten werden, zumindest für ein weiteres Jahr.

Zwei ökonomische Überraschungen haben die guten Zeiten verlängert. Erstens, obwohl die Federal Reserve die kurzfristigen Zinssätze weiter erhöhte, stiegen die langfristigen Zinssätze nicht gleich mit, wodurch die Immobilienpreise weiter steigen konnten. Die Leistungsfähigkeit der größten Volkswirtschaft der Welt wurde in den letzten Jahren aus dem Immobilienmarkt gespeist, da manch einer seine Hypothek umschuldete und Teile des Gewinns ausgab. Aufgrund der hohen Preise wurde noch mehr gebaut.

Doch ist es unwahrscheinlich, dass es so weitergeht. Es ist fast sicher, dass die langfristigen Zinssätze steigen werden. Ist dies der Fall, werden die Amerikaner mehr Geld für die Schuldentilgung ausgeben, was ihnen weniger für den Kauf von Waren und Dienstleistungen übrig lässt. Zudem werden die Immobilienpreise höchstwahrscheinlich nicht mehr länger steigen - sie könnten sogar fallen. Als Folge wird die Umschuldung von Hypotheken zum Stillstand kommen, so dass aus dem Wohnungswesen kein Geld mehr entnommen werden kann, um den Konsumrausch der Amerikaner aufrechtzuerhalten.

Ist es möglich, dass der bargeldreiche Unternehmenssektor diese Flaute ausgleichen wird, indem er die Investitionen erhöht? Es kann gut sein, dass es eine Zunahme der Bruttoinvestitionen gibt, da überholte Anlagen und Software ersetzt werden. Doch gibt es auch einige Anzeichen dafür, dass sich die Innovation verlangsamt - vielleicht die Folge sinkender Investitionen in die Forschung in den letzten fünf Jahren.

In jedem Fall weiten Firmen, selbst wenn sie reich an Bargeld sind, in Zeiten sinkenden Verbrauchs normalerweise nicht ihre Investitionen aus. Es ist wahrscheinlicher, dass eine Mäßigung der Investitionen die Verlangsamung des Verbrauchs noch verschärft, als dass eine Akzeleration der Investitionen sie ausgleicht.

Doch ist dies nicht der einzige Grund für trübere Aussichten für Amerika und die Welt. Die zweite Überraschung 2005 war, dass der ökonomische Bremseffekt, während die Ölpreise wesentlich stärker anstiegen als erwartet, an den meisten Orten etwas gedämpft erschien, zumindest bis zum Ende des Jahres. Aufgrund höherer Ölpreise stiegen die amerikanischen Ausgaben für Ölimporte um ungefähr 50 Milliarden Dollar pro Jahr - Geld, das sonst zum größten Teil für US-Waren ausgegeben worden wäre.

Ökonometrische Studien deuten darauf hin, dass es ein bis zwei Jahre dauert, bis die gesamten Auswirkungen von Ölpreiserhöhungen spürbar werden. Nun, da die Terminmärkte voraussagen, dass Öl in den nächsten beiden Jahren 50 bis 60 Dollar pro Barrel kosten wird, hat sich die Nachfrage nach Spritfressern verflüchtigt, und mit ihr auch die Aussichten für amerikanische Automobilfirmen, deren Unternehmensstrategien auf niedrige Ölpreise und Amerikas Liebesaffäre mit Geländewagen gesetzt haben.

Europa bietet weiterhin ein uneinheitliches Bild, wobei die Europäische Zentralbank die Zinssätze fast bösartig anhebt, selbst wenn die europäische Wirtschaft weiteren Antrieb benötigt, um ihre Erholung zu gewährleisten. Als wäre das nicht schlimm genug, verspricht Deutschlands neue Regierung, die Steuern zu erhöhen. Rechtschaffenheit am richtigen Ort zur richtigen Zeit ist lobenswert, doch ist das der falsche Ort und die falsche Zeit.

Das größte Risiko ist 2006, dass sich Amerikas seit Langem gärende Probleme weltweit zuspitzen: Investoren, die endlich dem großen strukturellen Haushaltsdefizit, dem gähnenden Handelsbilanzdefizit und der hohen Haushaltsverschuldung Beachtung schenken, werden unter Umständen panisch Geld aus den USA abziehen. Andernfalls könnten steigende Zinssätze und eine Talfahrt auf dem Immobilienmarkt die Verbrauchernachfrage derart schwächen, dass die Wirtschaft in eine Rezession abgleitet, was Exporteure in anderen Ländern, die vom US-Markt abhängig sind, unter Druck setzt.

Da das Vertrauen in Bushs Wirtschaftsmanagement fast genauso gering ist wie das Vertrauen in seine Führung im Irakkrieg, gibt es Grund genug, sich Sorgen zu machen, dass keine dieser Krisen, sollte eine davon auftreten, gut bewältigt wird.

Wahrscheinlich ist, dass 2006 ein weiteres Jahr der Malaise wird. Amerika wird es wieder gelingen, sich durchzuwursteln - und dabei eine noch höhere Verschuldung zu hinterlassen. (Copyright: Project Syndicate; Übersetzung: Anke Püttmann; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31.12.2005/1.1.2006)