Ankara - Das Oberste Gericht der Türkei hat
Hoffnungen auf eine Einstellung des umstrittenen Verfahrens gegen
Schriftsteller Orhan Pamuk geweckt. In einem anderen Verfahren
urteilten die Richter am Dienstag, der Regierung obliege die
Entscheidung, ob Personen im Zusammenhang mit einem im Ausland scharf
kritisierten Artikel des neuen Strafgesetzes strafrechtlich verfolgt
würden. Damit stellte das Gericht klar, dass das Justizministerium in
Ankara auch dem Pamuk-Fall ein Ende bereiten könnte.
Pamuk ist wegen Beleidigung des "Türkentums" angeklagt. Bei einer
Verurteilung drohen dem Autor, der in diesem Jahr mit dem
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, bis zu
drei Jahre Haft. Nach dem Gerichtsbeschluss von Dienstag gefragt
sagte Justizminister Cemil Cicek vor Journalisten: "Ich habe das
Urteil gerade erhalten. Lassen Sie es mich prüfen. Wir werden gemäß
dem Ergebnis der Prüfung entscheiden, ob wir das Pamuk-Verfahren
zulassen oder nicht."
Der international renommierte Autor muss sich wegen Äußerungen
verantworten, bei Massakern in der Türkei seien während des Ersten
Weltkrieges eine Million Armenier getötet worden. Die Regierung hat
einen Völkermord an den Armeniern stets bestritten. Pamuk machte
seine Äußerungen in einem Interview mit einer Schweizer Tageszeitung
vor Inkrafttreten des neuen Strafgesetzes. Dem vorher gültigen Recht
zufolge lag es am Justizministerium, ob solche Fälle verfolgt werden.
Das Verfahren war bereits am ersten Verhandlungstag Mitte
Dezember auf den 7. Februar vertagt worden. Damit sollte dem
Justizministerium Zeit für die Prüfung von Verfahrensfragen gegeben
werden. Die Europäische Union hat den Prozess zu einem Test für die
Haltung der Türkei zur Meinungsfreiheit erklärt. Der türkische
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte der EU daraufhin
vorgeworfen, die Justiz seines Landes unter Druck zu setzen. Die EU
hat im Oktober Beitrittsgespräche mit der Türkei aufgenommen. Ein
Beitritt des moslemischen Landes wird frühestens in zehn Jahren
erwartet. Erweiterungskommissar Olli Rehn hat wiederholt klar
gemacht, dass die Türkei vor allem in der Frage der Menschenrechte
noch einen langen Weg zurückzulegen habe, bis sie EU-Standards
erfülle. (APA/Reuters)