Eine Krebszelle, die von Abwehrzellen angegriffen wird. Erst wenn das Immunsystem versagt, entsteht Krebs. Einige Tumorzellen jedoch schmuggeln sich mit molekularen Tricks an den Abwehrzellen vorbei.

Foto: Boehringer Ingelheim
Der Krebs ist so alt wie die Menschheit selbst, nur, dass seine Häufigkeit laut Statistiken immer mehr zunimmt, und zwar in etwa im selben Ausmaß, wie die Lebenserwartung des Menschen steigt. Tumorerkrankung können daher hauptsächlich als Alterserkrankung angesehen werden. Solange der Mensch lebt, teilen sich seine Zellen und dabei kommt es immer zu Fehlern. Normalerweise gehen entartete Zellen entweder von allein zugrunde oder werden vom Immunsystem erkannt und gezielt ausgeschaltet. Funktionieren diese körpereigenen Kontrollmechanismen nicht mehr, entsteht Krebs. Das Risiko steigt, je älter man wird, da die Leistungsfähigkeit des Immunsystems abnimmt. Es gibt aber auch Tumoren, wie Wiener WissenschafterInnen nun feststellen konnten, die durch molekularbiologische Tricks dem Immunsystem selbst dann entkommen, wenn die Körperabwehr eigentlich intakt ist.

Tumorzellen des Eierstockkrebses beispielsweise nutzen zwei unabhängige Mechanismen, um den Abwehrreaktionen des Körpers zu entgehen - und entziehen sich damit auch einer neu entdeckten Bekämpfung durch das umliegende Gewebe. Details dieser bei immerhin 65 Prozent der untersuchten Krebszellen beobachteten Strategien wurden vergangene Woche in der international renommierten Fachzeitschrift Clinical Cancer Research publiziert. Die Forschergruppe um Michael Krainer von der Medizinischen Universität Wien schaffte mit dieser vom Wissenschaftsfonds unterstützten Arbeit auch eine wichtige Grundlage zur Optimierung einer neuen Krebstherapie.

Entdeckte Mechanismen

Eine Krebszelle macht noch keinen Tumor. Damit es so weit kommt, muss die Krebszelle sich vielfach teilen - und dazu auch Mechanismen entwickeln, die es den Tochterzellen ermöglichen, der körpereigenen Abwehr des Immunsystems zu entgehen. Zwei Mechanismen, die bisher unbekannt waren, hat jetzt das Team um Michael Krainer an der Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin I im AKH bei der Untersuchung von Zellen des Eierstockkrebses entdeckt. Beide Mechanismen bewirken, dass ein als "Trail" bezeichnetes Signalmolekül des Körpers in den entarteten Zellen wirkungslos bleibt. Dieses Signalmolekül bewirkt eigentlich das Absterben in ihrer Funktion beeinträchtigter Zellen. Tatsächlich ist Trail Teil eines ausgeklügelten Schutzprogrammes des Körpers, das schädliche Zellen in den als Apoptose bezeichneten Selbstmord treibt.

Krainer und sein Team konnten nun feststellen, dass mehr als 20 Prozent der Tumorzellen das Trail-Molekül erst gar nicht binden können. Denn dazu fehlen ihnen die notwendigen Rezeptoren "DR4" und "DR5". So kann Trail bei diesen Krebszellen die zur Apoptose notwendigen Mechanismen nicht aktivieren. Bereits im Herbst 2005 konnte das Team zeigen, dass Modifikationen des für "DR4" kodierenden Genes zu einer geringeren Herstellung dieses Rezeptors in Tumorzellen führen und damit einen Hintergrund der molekularen Mechanismen der Trail-Resistenz bei Ovarialkarzinomen klären. Dieser Mechanismus und seine klinische Bedeutung wurden mit der nun veröffentlichten Arbeit bestätigt.

Zusätzlich konnte das Forscherteam zeigen, dass weitere 40 Prozent der Krebszellen ein Protein herstellen, das die Aktivierung des Selbstmordprogramms selbst dann verhindert, wenn Trail bindet. Dieses als "Flip" bezeichnete Protein unterbindet die von Trail im Zellinneren aktivierten Prozesse. Tatsächlich hat "Flip" eine ähnliche Struktur wie ein Enzym, das durch Trail eigentlich aktiviert werden soll. Ebendiese Ähnlichkeit bewirkt, dass Trail seine Wirkung auf "Flip" ausübt und nicht auf das tatsächlich aktive Enzym.

Häufigkeit

Zur Häufigkeit dieser Schutzmechanismen meint Peter Horak, Koautor der jetzt veröffentlichten Studie: "Wir haben sogar festgestellt, dass sechs Prozent der untersuchten Krebszellen beide Mechanismen gemeinsam besaßen. Insgesamt haben über 65 Prozent der von uns untersuchten Krebszellen zumindest einen Mechanismus, der es ihnen erlaubt, den von Trail mediierten körpereigenen Gegenangriffen zu entkommen."

Weiters fand das Team heraus, dass gerade in Gewebeproben von Patientinnen in fortgeschrittenem Stadium erhöhte Konzentrationen an Trail auftraten. Interessanterweise insbesondere im gesunden Gewebe nahe dem Tumor. Dazu erklärt Krainer: "Nach bisherigem Erkenntnisstand wird Trail vor allem von den Krebszellen selbst hergestellt. Gesundes Gewebe der Eierstöcke stellt normalerweise kein Trail her. Die von uns nun erstmals beobachtete Präsenz von Trail in diesem Gewebe ist als Reaktion auf die Tumorentstehung zu sehen. Der Körper kämpft zurück. Tatsächlich zeigen unsere Daten, dass jene Patientinnen, die Trail auch in diesem Gewebe produzieren, eine höhere Lebenserwartung hatten." Gerade diese letzte Erkenntnis deutet an, dass Trail zukünftig auch therapeutisch eingesetzt werden könnte.

Therapieansätze in Entwicklung

Tatsächlich werden derzeit zwei innovative Therapieansätze entwickelt, die beide auf der gesteuerten Aktivierung der Trail-bindenden Rezeptoren beruhen. Die jetzt in Clinical Cancer Research publizierten Daten des Teams um Krainer liefern für beide Ansätze wichtige Informationen zu deren möglicher Wirksamkeit. Denn diese wird sowohl von der körpereigenen Herstellung dieses Signalmoleküls als auch von den nun entdeckten Schutzmechanismen beeinflusst werden.

Die Inzidenz für das Ovarialkarzinom in Österreich liegt bei etwa 800 Neuerkrankungen pro Jahr, die Mortalität bei rund 500 Todesfällen im Jahr. Damit stellt der Eierstockkrebs derzeit die sechsthäufigste Krebserkrankung bei Frauen dar. Eines der größten Probleme für die Behandlung besteht jedoch darin, dass die Erkrankung meist in einem bereits fortgeschrittenen Stadium entdeckt wird - und nach wie vor gilt, dass die Heilungschancen umso größer sind, je kleiner der Tumor ist, je früher er also diagnostiziert werden kann. Als Ursachen für Eierstockkrebs werden genetische Faktoren, erhöhter Konsum von tierischen Fetten und Fleisch, sowie Strahlenbelastung diskutiert. (red, DER STANDARD, Print, 24./25./26.12.2005)