Suche nach Glück, Liebe und einer Möglichkeit, die Welt zu bestehen - "Kunos große Fahrt",...

Bild aus dem besprochenen Band

..."Fredeo träumt vom Fliegen",...

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..."Pinocchio",...

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...und "Stille Nacht, Heilige Nacht".

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Die Frage, was er lese, fehlt im Theo-Porträt. Wahrscheinlich hätte der Elfjährige ähnlich geantwortet wie auf die Frage nach seinen Helden: "Hab ich keine", weil Helden hat man eben nicht, man ist einer.

Die Frage, ob Kinder lesen sollen, ist alt, und sie kann mit gutem Recht mit Ja oder Nein beantwortet werden. Gerade als Jugendlicher hat man auf der Welt Wichtigeres zu tun, als zu lesen (siehe die Stichworte AUSTRIA, NOTEN und MÄDCHEN). Lesen ist - wie viele Dinge, die das Leben lebenswert machen - etwas Zusätzliches, man muss es nicht tun, man kann es höchstens trotzdem machen. Die sekundäre Welt, die das Lesen bietet, gilt es selbst zu entdecken, allerdings kann man sanft in sie begleitet werden. Oder wie Peter Bichsel einmal sagte: "Nun gibt es Leute, die glauben, man könne den Nichtlesern Literatur näher bringen, indem man ihnen die Inhalte zu erklären versucht.

In diesem Falle, so befürchte ich, ist das nutzlos . . . Sie können niemanden zum Fußballfan machen, indem Sie ihm den inneren Sinn des Fußballs deuten oder die Regeln und den Zweck. Fußball ist nur für einen Fußballfan zu begreifen. Fußball ist unnötig, wenn Sie so wollen, und nicht etwa ein Abbild des Lebens, was von Fußballphilosophen behauptet wird. Ich brauche nicht Fußballfan zu sein, um das Leben kennen zu lernen, und wenn ich das Leben kennen sollte, dann trägt das nicht viel bei zum Verständnis von Fußball und auch nicht zum Verständnis von Goethe. Dazu ist ein Einverständnis mit der Literatur so notwendig wie zum Verständnis von Fußball ein Einverständnis mit Fußball. Das deutsche Wort dafür heißt Begeisterung."

Doch Begeisterung, wir wissen es alle aus der eigenen Kinder- und Jugendzeit, lässt sich selten mit der Brechstange erzwingen. Sie hat eine sinnliche Komponente, etwas Spielerisches, Leichtes auch. Deshalb sollen auf dieser Seite Bücher vorgestellt werden, die durch Gestaltung, Inhalt und Aufmachung zum Lesen und Weiterlesen anleiten. Beginnen wir mit der Geschichte um ein Stück Holz, das sprechen konnte, und einem alten Mann, der daraus einen Hampelmann schnitzte. Kaum fertig, tritt dieser dem Alten ins Gesicht und läuft davon, um das Fürchten zu lernen. Seit 1881, als die Abenteuer dieser Holzpuppe als Fortsetzungsroman in einer Zeitung veröffentlicht wurden, bekommen nicht nur italienische Kinder anhand von Pinocchio Moral (etwa dass, wer unabhängig sein will, die schmerzlichen Folgen seines Handelns akzeptieren muss) beigebracht. Deren Schöpfer, Carlo Collodi, kannte die Versuchungen, die er beschrieb, denn Pinocchio erfand er, um seine Spielschulden abzuzahlen.

Es ist nicht die relativ einfache Handlung, die den kleinen Holzkopf durch die Wirrungen des Lebens führt, und die platte Moral (du sollst nicht lügen), die den Wert dieses Buches ausmachen. Es geht auch um Humor - und um die Unabwägbarkeit des Lebens. Es steckt viel Mysteriöses in dieser Geschichte, und es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass Pinocchio das Lieblingsbuch von Federico Fellini war. Am soeben im Sauerländer-Verlag erschienen Pinocchio-Band (Deutsch von Hubert Bausch, € 25,60) mit neuen, kunstvollen Illustrationen von Roberto Innocenti hätte wahrscheinlich auch er seine Freude gehabt.

Thematisch ähnlich angelegt ist Klaus Merz' und Hannes Binders Bildband Kunos große Fahrt (€ 15,30, NordSüd), in dem ein Bub rund um die Welt fährt - und anschließend seinen besorgten Eltern Rede und Antwort stehen und die Verantwortung übernehmen muss. Binders beeindruckende, eher düstere, doch nie dunkle Illustrationen und die kurzen Texte von Klaus Merz, der zu den bekanntesten Autoren der Schweiz gehört, setzten hier im eigentlichen Sinne Literatur ins Bild. Ein Band für Jugendliche und Comicfans.

Für die ganz Kleinen ab vier eignet sich das Bilderbuch Fredo träumt vom Fliegen (€ 12,95, Annette Betz Verlag), in dem ein kleiner Esel seinen scheinbar unmöglichen Traum vom Fliegen realisiert. Elisabeth Schöberls Text ist angenehm nüchtern gehalten und vermeidet eine (zu) liebliche und verharmlosende Kindersprache. Martina Badstubers vierfarbige Illustrationen tun das ihre, dass man dieses Buch eigentlich nur lieben kann.

Weil es spät ist, aber nie zu spät, sei hier auch noch auf Werner Thuswaldners (Text) und Robert Ingpens (Illustration) Band Stille Nacht, Heilige Nacht (€ 20,50, Michael Neugebauer Edition - mit CD, auf der Hubert von Goisern die Originalfassung singt) hingewiesen, der die Geschichte, Entstehung und Verbreitung des wohl berühmtesten Weihnachtsliedes erzählt. Naturgemäß spielt Oberndorf an der Salzach, wo das Lied im frühen 19. Jahrhundert entstand, in dem Buch eine Rolle, der junge Hilfspriester Joseph Mohr und sein Freund Franz Xaver Gruber auch. Ausschließlich idyllisch ist der Band übrigens nicht, denn es geht ebenso um Krieg, Verzweiflung und Armut.

Die Suche nach dem Glück also, nach der Liebe oder nach einer Möglichkeit, die Welt zu sehen. Literatur (auch gute Kinder- und Jugendbücher) handelt selten vom Eindeutigen und vom Entweder-oder. Sie redet davon, dass im Leben jederzeit alles passieren kann und dass es nicht darum geht, auf alles eine Antwort zu haben, sondern die richtigen Fragen zu stellen. Und was sie noch interessant macht: Es geht fast nie um Musterknaben. Denn wer interessiert sich schon für Musterknaben? Wahrscheinlich würde das auch Theo so sehen. (ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 24./25./26.12.2005)