Foto: Kunstmuseum Liechtenstein / Thomas Cugini
Als Auftakt zu einer Tour durch europäische Häuser zeigt das Kunstmuseum Liechtenstein eine umfassende Retrospektive auf das Werk des 2003 verstorbenen New Yorker Minimal-Künstlers Fred Sandback.


Vaduz – Irgendwann hat Fred Sandback bei seinen Untersuchungen an Linien die Wand verlassen und also damit begonnen, Volumina zu erzeugen. Fred Sandback ist Bildhauer, sein Material ist das Nichts, seine Skulpturen sind "fußgängerisch" zu erfahren, seine Zeichnungen im Raum besiedelbar.

Fred Sandback umreißt Volumina, markiert präzise den Raum, den seine Quader greifen, hebt die Kanten jener Flächen hervor, die er Räume durchdringen lässt. Fred Sandback genügen Acrylfäden, um Monumente zu errichten. Die dann mit Material zu füllen, mit Inhalt, bleibt jenen überlassen, die wider die Erfahrung "Körper" dann doch ganz ungehindert durch die Wand gehen, sich von der Materie, die das Hirn sofort gemäß Sandbacks Koordinaten aufschüttet, nicht beeindrucken lassen. Die Bronze, den Marmor bringen Dritte mit.

Minimal-Art, die Kategorie, unter der man den 2003 verstorbenen Fred Sandback im Nachschlagewerk findet, ist, wenn die Skulptur längst da ist, es bloß den Künstler braucht, auf das permanente Anwesen des Werkes zu verweisen. Fred Sandback zeigt das Potenzial der Räume die er bespielt, führt in wunderschöne Ecken, macht "Dimension" erfahrbar, indem er Vergleichsvolumina bereitstellt, animiert die Wanderer bloß durch den Vorschlag einer Bank dazu, ihre Perspektive zu verändern.

Fred Sandback schlägt Standpunkte vor. Ihm genügen Angaben zu Länge, Breite und Höhe, um uns in Staunen zu versetzen, er gibt ein Winkelmaß vor, und nicht länger mehr lässt sich ein Saal unbeachtet durchqueren, er fordert jetzt Meinung ein, Haltung.

Eine Linie, gezogen vom Boden zur Decke, reicht aus, den geschlossenen Raum im Zusammenhang größerer Volumina zu begreifen, ein Bündel senkrecht gespannter Fäden vermittelt die Idee, die hinter jeder Säule steht, genügt, die Abhängigkeit vom Tragen und Lasten zu vermitteln, das Wesen von Architektur.

Und: Das Weiß der Räume wird erst durch den Einsatz bisweilen grellbunter Fäden so offensichtlich, die Farbe entspricht dem Charakter der Skulpturen. Sie ist seh- und erlebbar, sie zeitigt körperliche Auswirkungen, ohne greifbar zu sein. Fred Sandback hat sich ein Repertoire bemerkenswert prosaischer Mittel erarbeitet, um das Spezielle im vermeintlich banalen Raum zu enthüllen. Nicht mehr, ganz ohne weitere Versprechen. "Mein Werk ist in keiner Weise illusionistisch ... mein Werk steckt voller Illusionen, aber sie verweisen auf nichts. Tatsache und Illusion sind einander ebenbürtig."

Momentan sind Fred Sandbacks Skulpturen im Kunstmuseum Liechtenstein zu ergehen, deuten die dortigen Räume, markieren ein Hier und Jetzt, das Bewegung einfordert, um in seinem Wesen erfahrbar zu werden. Die etwa 50 Arbeiten, entstanden zwischen 1966 und 2003, werden anschließend in der Fruitmarket Gallery Edinburg, der Neuen Galerie in Graz und im Musée d’Art Contemporain in Bordeaux die Räume öffnen, andere Ausstellungen ausbilden, andere Zeitspannen einfordern, zu anderen Überlegungen anstoßen, zu anderen Aktivitäten anregen.

"The first sculpture I made with a piece of string and a little wire was the outline of a rectangular solid ... lying on the floor. It was a casual act, but it seemed to open up a lot of possibilities for me", schrieb Sandback 1986. Die Retrospektive ist die erste große Personale nach dem Tod des New Yorker Künstlers. Sie ist ebenso präzise wie flüchtig, so als hätte Fred Sandback sie selbst installiert. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.12.2005)