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Nach 159 Jahren ist bald "Aus" fürs Telegramm in Österreich.

Foto: APA/Andreas Tröscher
Wien - Sigrid Ellmaier oder eine ihrer drei Kolleginnen werden irgendwann im Lauf des 30. Dezember 2005 das letzte Telegramm in der Geschichte der österreichischen Telekommunikation annehmen. Ein paar Textzeilen, ein herzlicher Gruß, vielleicht mit Schmuckkuvert, Musik oder sogar inklusive Blumenstrauß. Dann heißt es für das Telegramm nach 159 Jahren endgültig "stop".

Wehmut verspürt Frau Ellmaier nur "ein bisserl", schließlich hat sich der Niedergang des einst beliebtesten Kommunikationsmittels seit langem abgezeichnet. "Wie ich 1982 angefangen hab', hat es das Blitztelegramm - also Zustellung innerhalb einer Stunde - schon nicht mehr gegeben." Der Nachfolger hieß Eiltelegramm, durfte drei Stunden brauchen, hat sich aber auch nicht lange gehalten.

Telegraphenzentralstation

Am Wiener Börseplatz, in der "K.u.K. Telegraphenzentralstation", da ist es früher ordentlich zugegangen. "Das war ein riesiger Saal mit 300 Bediensteten, alles Frauen. Männer gab es nur in den oberen Etagen. Die in der Aufsicht haben alle weiße Mäntel getragen." Arbeitsgeräte waren Telefon und Schreibmaschine. "Wir sind alle nebeneinander gesessen. Und vor uns ist ein Förderband gelaufen, da haben wir die fertig getippten Telegramme reingeworfen." In der Leitstelle wurde anschließend jedes einzelne Wort gezählt und danach die Gebühren verrechnet.

Die Zeiten, wo die "Fräuleins vom Amt" weder heiraten noch Kinder kriegen durften, weil sie so unabkömmlich waren, hat Frau Ellmaier freilich nicht mehr miterlebt. Aber an die Eilfahrer kann sie sich noch gut erinnern, die unten im Hof auf die Auslieferware gewartet haben. Doch schon in den handylosen achtziger Jahren ging es mit der Nachfrage nach Telegrammen steil bergab. "Obwohl ich noch bis zu 120 an einem Tag getippt hab'." Mit Kugelkopfschreibmaschine und Endlospapier.

Übersiedlung

Gemeinsam mit dem Telegramm hat sich das altehrwürdige Gebäude am Börseplatz gerade noch ins dritte Jahrtausend hinübergerettet. 2001 erfolgte die Übersiedlung in die Zimmermanngasse in Wien-Alsergrund. Zu diesem Zeitpunkt konnte man Botschaften bereits elektronisch und in Sekundenschnelle von einem Erdteil in den anderen verschicken. Die Telegramme der Gegenwart hießen längst E-Mail oder SMS.

Rund 150 Menschen pro Tag wählen heute noch die kostenlose Nummer 0800/100190 und geben Botschaften durch. Meist zu Anlässen wie Geburtstag, Hochzeit oder Todesfall. Aber es rechnet sich eben nicht mehr, die sieche Institution weiter künstlich am Leben zu erhalten. Die Zustellung erfolgt erst am Folgetag der Aufgabe, Eilfahrer gibt es schon lange nicht mehr, der Briefträger wirft das Telegramm einfach ins Postkastl. Der "ordinäre" Brief ist gleich schnell, aber ungleich billiger.

Kein Bedarf mehr

Frau Ellmaier hat viele Jahre mit dem Telegramm verbracht und den letzten Rest von Hochblüte gerade noch mitgemacht. Das Ende ist für sie keine Überraschung: "Es war halt der Bedarf einfach nicht mehr da. Das haben auch die alten Leute eingesehen, obwohl es denen doch Leid tut, dass Schluss ist. Aber selbst meine 86-jährige Schwiegermutter ruft mich ja schon vom Handy aus an."

Ein paar Mal wird sich die grüne Maske am Bildschirm von Frau Ellmaier noch öffnen. Mittlerweile sind alle Varianten von Satzzeichen und Umlauten erlaubt, das berühmte "Stop" hat vor vielen Jahren ausgedient. Auf Wunsch erhält der Absender eine Kopie, die einst Dokumentenstatus hatte. Alles Geschichte. Auch die vier verbliebenen "Fräuleins vom Amt" sind verheiratet, haben Kinder - und werden sich ab 1. Jänner 2006 ausschließlich jenem Job widmen, den sie eigentlich jetzt schon hauptsächlich ausüben: Der Auskunft. (Von Andreas Tröscher/APA)