Saad Hariri forderte Staatspräsident Emile Lahoud in einem Interview mit dem TV-Sender "Al-Arabiya" neuerlich zum Rücktritt auf. Er hatte sich nach dem Sieg seiner "Bewegung der Zukunft" bei den Parlamentswahlen im Sommer geweigert, das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen, solange Lahoud Staatsoberhaupt ist. Dieser wird von der neuen Parlamentsmehrheit beschuldigt, ein Befehlsempfänger Syriens und durch seine engsten Mitarbeiter in den Hariri-Mord verwickelt zu sein.
"Geisteskrank"
Das syrische Regierungsorgan "Tishreen" bezeichnete unterdessen Hariris politischen Verbündeten, den Drusenführer und Chef der Sozialistischen Fortschrittspartei (PSP), Walid Joumblatt, als "Geisteskranken". Joumblatt hatte erklärt, dass er mit weiteren politischen Morden im Libanon rechne; nur so könne er Äußerungen des syrischen Außenministers Farouk Sharaa interpretieren. Dieser hatte am Dienstag nach einem Treffen des syrischen Präsidenten Bashar Assad mit Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak in Kairo gemeint, erst wenn es zu einer "Sanierung" der bilateralen Beziehungen komme, könnten Verhandlungen zwischen Damaskus und Beirut über strittige Fragen beginnen.
Der libanesische Ministerpräsident Fouad Siniora hat am Donnerstag erklärt, dass seine Regierung auch ohne Beteiligung der schiitischen Mitglieder weiter amtiert. Im Ministerrat und im Parlament wolle die Mehrheit, dass ein internationales Tribunal eingesetzt werde, um die Verantwortlichen für den Mord an Rafik Hariri und für weitere politische Morde zur Rechenschaft zu ziehen. Ebenso trete man für die Erweiterung der Kompetenzen der UNO-Untersuchungskommission ein, betonte Siniora. Diese Beschlüsse wollten die schiitischen Regierungsmitglieder jedoch nicht mittragen.
Nach Angaben des Ministerpräsidenten wird sich die Regierung auch von Lahoud nicht an der Weiterführung der Amtsgeschäfte abbringen lassen. Nach den Bestimmungen der Verfassung führt der Staatspräsident den Vorsitz im Ministerrat. Lahoud hatte am Vortag nach einer Unterredung mit dem Fraktionschef der radikalen Hisbollah im Parlament, Mohammed Raad, erklärt, dass er die Regierungssitzungen nicht mehr leiten werde, bis die schiitischen Minister an den Kabinettstisch zurückgekehrt seien.
Boykott
Alle schiitischen Minister, auch jene der Amal-Partei von Parlamentspräsident Nabih Berri, boykottieren seit über einer Woche die Kabinettssitzungen, ohne auf ihre Ämter verzichten zu wollen. Dadurch ist die erste ohne Einflussnahme Syriens gebildete Regierung seit dem Bürgerkrieg (1975-90) handlungsunfähig. Die Hisbollah will unter anderem eine verbindliche Erklärung der Regierung herbeiführen, wonach die in der UNO-Sicherheitsrats-Resolution 1559 enthaltene Forderung nach Entwaffnung aller Milizen bereits erfüllt sei.
Nach einem Treffen ihres Führers Hassan Nasrallah mit Premier Siniora hatte die Hisbollah keine Bereitschaft zum Einlenken erkennen lassen. Ihre Vertreter im Kabinett würden den Sitzungen fernbleiben, solange die Ursachen dieser Blockade nicht beseitigt seien, erklärte ein Hisbollah-Sprecher am Mittwoch in Beirut.
Appell
Die multikonfessionelle Mehrheitskoalition hatte am Dienstag an Amal und Hisbollah appelliert, ihre Blockade der Regierung zu beenden und die "nationale Einheit zu konsolidieren". Die Mehrheitskoalition, die sich auf 72 der 128 Parlamentsmitglieder (je 64 Moslems und Christen) stützt, besteht aus dem "Block der Zukunft" unter Führung des Sunniten Saad Hariri, Sohn des ermordeten Ex-Ministerpräsidenten Rafik Hariri, sowie aus der "Sozialistischen Fortschrittspartei" (PSP) des Drusenführers Walid Joumblatt, der vom maronitischen Patriarchen Kardinal Nasrallah Boutros Sfeir unterstützten christlichen Gruppe "Kornet Chehwane", der "Demokratischen Linken" von Elias Atallah und aus Parteiunabhängigen.