Wie Rouven Haas ihn sieht...

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... plüschig à la Dietmar Valentinitsch ...

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... und von Paul Smith interpretiert.

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Anlässlich des 50. Geburtstages der Siebener-Serie machte sich eine ganze Schar Designer über die Ikone her.

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Eine deutsche Wohnzeitschrift gab das folgende Rätsel auf: "Von der Pike auf lernte unser Mann seine Materie kennen: zunächst als Maurer, dann als Architekt, der bereits 23-jährig mit einer Silbermedaille von der Pariser Weltausstellung der Zwanzigerjahre in seine nördliche Heimat heimkehrte. Wenige Jahre später machte er mit dem Entwurf eines kreisförmigen Zukunftshauses mit Heli-Landeplatz auf dem Dach von sich reden. Das virtuose Spiel mit der Rundung prägte auch die nachfolgenden Möbelentwürfe. Er entwickelte die strenge Linienführung des deutschen Bauhauses zu jener softeren Spielart weiter, die in den nachfolgenden Jahrzehnten auch den Entwurfsstil seines nordischen Heimatlandes weltweit berühmt machen sollte. Assoziationen mit der Natur stellten sich da fast von selbst ein. Ein Anfang der Fünfzigerjahre von unserem Mann entworfener Stuhl wurde dabei zu einem der bekanntesten Möbelentwürfe aller Zeiten. Der durch die schichtholzverformte Rückenlehne inspirierte Name des Möbels erinnert dabei an ein Lebewesen, das selbst städtebauliche Ambitionen an den Tag - respektive Waldboden - legt. Wie heißt das Tier, nach dem der von Hansen produzierte Stuhl unseres Mannes benannt ist? Wie sein 1971 verstorbener Schöpfer?"

Man sieht: fünf Jahrzehnte großes Krabbeln

Aber nichts zwickt am legendären Ameisen-Stuhl, auch wenn es der Name durchaus vermuten ließe. Der als "Ameise" oder "Ant Chair" bekannt gewordene Entwurf des dänischen Designers und Architekten Arne Jacobsen taugt eben auch im Jahre 2005 und in einer deutschen Wohnzeitschrift mühelos zur Verwertung als Designrätsel.

Zufall ist das keiner. Schließlich war Jacobsen ein Mann, der Ikonen zu schaffen verstand. Resistent gegen Moden und Trends, stehen seine Entwürfe in Filmen und Vorstandsbüros herum, wirken dabei niemals elitär, sondern durchaus tauglich für das Gesäß der Masse. Genau diese Eigenschaft prägt denn auch Jacobsens zweiten großen Sitzmöbelklassiker, der um eine Nuance weniger expressiv wie die eingangs erwähnte Ameise ausfällt. Die Stühle der "Seven Series", von denen die Rede ist, verließen drei Jahre nach der Ameise die Werkstätten des Herstellers Hansen - und zwar vor genau fünfzig Jahren.

Der runde Geburtstag des Möbels, aber mehr noch seine Eigenschaft, Profil zu zeigen und trotzdem als tragfähiges Konstrukt im Hintergrund zu bleiben, einen Sesselbeinschritt hinter die wechselnden Lifestylekulissen zurückzutreten, sind wohl wesentliche Gründe, warum der "Siebener" zuletzt in recht auffälligen Variationen durch die Designszene geistern konnte. Österreichische Künstler verpassten ihm im Rahmen der Charityaktion "Chance by Change" plüschige Beine (Dietmar Valentinitsch), montierten die Stahlrohrbeine kurzerhand an die Rückenfläche, um den "Siebener" solcherart um neunzig Grad zu kippen (Franz Maurer), oder nahmen die rekordverdächtigen Stückzahlen von fast sechs Millionen Exemplaren, in denen Jacobsens Entwurf bislang produziert wurde, als synonymen Ausgangspunkt für industrielle Massenproduktion an sich.

Kontrast zum Wertewandel

Dem Künstler Rouven Haas diente der Siebener damit als Folie für traditionelle Bauernmalerei anno 1758 - ein gefälliges Kontrastbild, das einen Denkanstoß zum Wertewandel innerhalb der vergangenen 250 Jahre liefern soll. Doch noch andere Fragen lassen sich rund um das Schichtholz der Siebener-Serie formen. Wer ist das stärkere Label? Beckham oder Real Madrid? Der Louvre oder Mona Lisa? Arne Jacobsen oder Hugo Boss? Die Suche nach der Austauschbarkeit von Identitäten und die Beliebigkeit, mit der Ikonen im Kulturboden sprießen, sich ebendort vor allem auch ziehen lassen, sind - vielleicht unbeabsichtigtes - Thema einer anderen, in diesem Fall vom Hersteller Hansen selbst initiierten Auseinandersetzung rund um die Seven Series.

"Jacobsen revisited" könnte man angesichts der Überarbeitungen sagen, die berühmte Designbrands in diesem Zusammenhang ablieferten. Dass kaum ein Sesselmodell häufiger kopiert wurde als Jacobsens Klassiker, mag dabei noch zusätzliche Würze verleihen. Doch aufs Kopieren hatten es die beteiligten Labels - allesamt Lifestyle- ikonen mit eigenständigen Stilhorizonten und formal wie inhaltlich mehr oder weniger exakt abgezirkelten Geschmacksuniversen - wohl kaum abgesehen - und auch nicht auf die Frage nach Inhalten von Design, obgleich doch die pure Fläche selten einmal so einladend wirkt, wie es beim wohl erprobten Siebener der Fall ist. Also glitzern die alles und jeden überziehenden Bisazza-Mosaike auf Model komm raus, zaubert Diesel jene urbanen Gebrauchsspuren auf die Schichtholzfläche, die ewiglich nach Benzin und Abenteuer duften.

Bosse im Designalltag

Klar auch, dass Missoni quer gestreift und der Hugo-Boss-Siebener elegant und mit etwas gepolsterter Unterlage daherkommen müssen - haben es Bosse doch schon im Designalltag hart genug. Pretty post-British Paul Smith, roh und blechern, G Star, zur ledrigen Tasche geklappt immerhin, fällt die Überarbeitung der berühmten Sesselkonturen bei Louis Vuitton aus. Eine Tasche steckt schließlich in jedem von uns. Die Enthüllung von spezifischem Label-Lebensgefühl gelingt Barcelonas Hupf-in-Gatsch-Schuhmarke Camper hingegen am schwunghaftesten: denn auch mit hinaufgedrehten Beinen, als Schaukel, macht der Siebener sehr gute Figur - und versprüht zugleich mehr Outdoorfreiheit als das Designmuseumsstücke in der Regel tun.

Was haben ein Schneider, ein Keramiker, ein Schuster gemeinsam? Und was haben Stilwelten mit den funktionalen Niederungen zu tun, in denen herkömmliche User hausen? Was ist uns näher: der Wunsch, ein anderer zu sein, oder konkreter, manifester Gebrauch? Auch diese Fragen tauchen zwangsläufig auf. Beantwortet werden sie gerade von dem Stück Design, das, obzwar selbst Ikone, souverän aus Mosaik und Jeansgefühl, aus Wiesenspur und Nadelstreifwelt herauszustechen vermag. Die Rundungen des Siebener zeugen gerade da besonders intensiv von jener Tiefe, die der große Däne bei seinen Entwürfen am Menschen selbst abnahm.

Zuletzt bleibt - schlechte Nachricht an die Stilwelt - nur er übrig. Tiefer Kotau vor Jacobsen!
(Robert Haidinger/Der Standard/rondo/23/12/2005)