Drastische Bilder, aber eine Henze- Inszenierung, die sich nicht vor die Musik stellt: Kristine Ciesinski (als Agave) und Kenneth Cox (Cadmus).

Foto: Ruth Walz
Amsterdam - Dass die Hamburgische Staatsoper zuletzt eine Erfolgsstory schrieb, lag an der Allianz zwischen Intendant, Musikchef und einem Regisseur, der stilprägend war. Ingo Metzmacher und Peter Konwitschny arbeiteten und Louwrens Langevoort sorgte dafür, dass die Partnerschaft reifen konnte. Als man nun Metzmacher an die Nederlands Opera holte, dürften dessen Offenheit und seine in Hamburg gepflegte Sesshaftigkeit eine Rolle gespielt haben. Vier Produktionen leitet er in seiner ersten Spielzeit als musikalischer Chef des Hauses.

Sein Einstand mit Hans Werner Henzes Bassariden, dem monumental symphonischen, antik aufgeladenen Einakter aus dem Jahr 1966, ist dabei ebenso ambitioniert wie eine sichere Bank. Und er vermag auch hier den Farbenreichtum und die Sinnlichkeit der Partitur mit Überzeugungskraft auszubreiten.

In Peter Steins Inszenierung wurde im englischen Original des Librettos von Auden und Kallman gesungen – von der auf die zivilisatorische Disposition der Menschen zielenden Revolte des ungezügelten Dionysos gegen die Rationalität des jungen Königs Pen^theus. Der einstige Schaubühnen-Guru Stein und seine Ausstatterin Moidele Bickel scheitern nicht. Wohl, weil sie die Sache unspektakulär ernst nehmen. Der Raum: Ein antikes Theaterhalbrund, ein gewaltiger Steinblock, aus dem die Flamme von Semeles Grab züngelt, ein Stuhl als schlichter Thron des Königs – öffentlich wird hier Grundsätzliches verhandelt. Wie eine Woge tauchen die Verführbaren am oberen Rand dieser Arena auf, bevölkern sie für ihre Orgie.

Diese Reihen bieten aber nicht nur dem schwankenden Volk, seinem zunehmend ratlosen Herrscher, dem Verführer und der sich beim vermeintlichen Zerfleischen eines Löwen (der in Wahrheit ihr Sohn ist) so tragisch irrenden Agaue (Kristine Ciesinski) den Platz, sondern auch dem finalen Feuerzauber, mit dem Dionysos am Ende dem Königshaus von Theben den Palast abfackelt.

Dazu führt ein Laufsteg um den Orchestergraben. Von unten beleuchtet, wird er zum Platz für das schrille Intermezzo. Der alte König Kadmos (Kenneth Cox) und die seherisch begabte alte Beroe (Anne Gjevang) deuten in ihrem Grau direkt aufs Archaische. Pentheus (Detlef Roth) kommt im schwarzen Königsmantel, sein Gegenspieler Dionysos (Tom Randel) geschmeidig im goldenen Gewand.

Beim Rest des Personals behaupten die weißen Anzüge Zeitlosigkeit, bei Pentheus Garde in Leder und mit Plastikschilden gar eine militante Gegenwart. Doch Stein analysiert nicht vordergründig den Mechanismus von Verführung und vom Brechen aller zivilisatorischen Dämme. Er lässt vor allem der Musik und ihren farbenreichen Querverweisen ins Überzeitliche Platz und erlauscht die in ihr behauptete Verführbarkeit.

Dass sie so, wie Metzmacher sie aufklingen lässt, im atmosphärischen Licht- und Stimmungswechsel auch auf der Bühne unmittelbar sichtbar wird, mag eine Verdopplung sein, aber sie wirkt. Am Ende dann taucht vor einer Tabula-rasa-Verklärung vor aufgehendem Licht eine riesige Semelestatue aus der Versenkung auf, an die sich ein jetzt ziemlich kindlich wirkender Dionysos anschmiegt.

Es spricht für Steins Lesart, dass er die Fragen gestellt und keinesfalls eine scheinbar eindeutige Antwort gesucht hat. Schade, dass er schon nicht mehr da war. Er hätte sicher einen Teil des alle einschließenden Jubels abbekommen. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.12.2005)