Das lange Warten nimmt kein Ende: Ioan Fiscuteanu und Luminita Gheorghiu in "Der Tod des Herrn Lazarescu".

Foto: Stadtkino
Wien – Es ist Samstagabend. Herr Lazarescu hat Magenkrämpfe, der Kopf tut ihm weh. Er muss sich übergeben, die Schmerzmittel aus der Hausapotheke wirken nicht mehr. Ob er denn trinke, will die Frau am Telefon des Ärztenotrufs wissen. Die wahrheitsgemäße Antwort des Hilfesuchenden kommt einer Selbstentmündigung gleich – und sie wird nicht zum letzten Mal die Dringlichkeit seines Anliegens unterminieren.

Der Tod des Herrn Lazarescu (Moartea domnului Lazarescu) geht von einer denkbar einfachen, alltäglichen Begebenheit aus. Fernab von den sattsam bekannten Heilsformeln und Spannungsdramaturgien, deren sich etwa Krankenhausserien bedienen, erzählt der Film in der Folge eine Geschichte der fortwährenden Verkennung und Verzögerung. Eine Art Stationendrama – nahe an der Realität und doch versehen mit einem tragikomischen Tonfall, an dem nicht zuletzt der großartige Hauptdarsteller Ioan Fiscuteanu seinen Anteil hat.

In langen ungeschnittenen Einstellungen beobachtet der Film nicht nur seinen Protagonisten – ganz beiläufig setzt er auch dessen Umgebung ins Bild. Ein längst verwaistes Jugendzimmer erzählt von früheren Verhältnissen. Die erwachsene Tochter ist inzwischen in Kanada verheiratet, die Frau vor Jahren gestorben.

Krisenintervention

Dem 63-jährigen Rentner, der seine Wohnung mit drei Katzen teilt, kommen zuerst eher halbherzig seine Nachbarn zu Hilfe ("Sie sollten mit dem Trinken aufhören!"). Lazarescus sichtlich dramatischer Zustand bewirkt schließlich eine nochmalige Intervention beim Notruf. Die Krankenschwester des Rettungsdienstes erkennt den Ernst der Lage. Doch damit beginnt nun erst eine nächtliche Herbergssuche in den Spitälern von Bukarest. Ein Busunglück mit vielen Verletzten hat überall Priorität.

Der Tod des Herrn Lazarescu ist der zweite Spielfilm des 38- jährigen Rumänen Cristi Puiu. Puiu begann in den Neunzigerjahren in Lausanne zunächst ein Malereistudium, bevor er das Medium wechselte. Zuletzt wurde sein Kurzfilm Cigarettes and Coffee (2004) mit einem Goldenen Bären prämiert. Die Finanzierung seines Langfilms stieß trotzdem auf erhebliche Schwierigkeiten. Die Unbeirrbarkeit des Regisseurs wurde schließlich beim diesjährigen Festival in Cannes belohnt:

Filmische Genauigkeit

Seinem Film wurde in der Reihe "Un certain regard" der Hauptpreis zuerkannt – nicht zuletzt eine Würdigung für ein europäisches Autorenkino, dem gerade aufgrund der konkreten Verortung seiner Erzählungen und aufgrund seiner Genauigkeit in der filmischen Verarbeitung von äußeren Wirklichkeiten internationale Relevanz zukommt.

Der Wechsel des Schauplatzes – aus der Wohnung, von Notaufnahme zu Notaufnahme – verstärkt allmählich den dokumentarischen Gestus des Films: Der Tod des Herrn Lazarescu verzeichnet standardisierte Vorgänge, wieder und wieder durchläuft Lazarescu Erstuntersuchungen. Der Film erkundet ein informelles (Klassen-)System, in dem der allein stehende Mann mit dem allzu offensichtlichen Alkoholproblem (er bevorzugt eine Mischung aus Wasser, Zucker und reinem Alkohol ...) schlechte Karten hat. Er beschreibt darüber hinaus institutionelle Sprachregelungen, Hierarchien und Vorschriften, an denen auch die begleitende Krankenschwester zu scheitern droht.

Währenddessen verfällt der Patient zusehends. "Seine Leber ist so groß wie das Parlament." Neben einem Krebsgeschwür wird auch ein Blutgerinnsel im Gehirn diagnostiziert. Ob Herr Lazarescu diese Nacht überleben wird, bleibt fraglich. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.12.2005)