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Molyneux, 45 Jahre, ist einer der erfolgreichsten und einflussreichsten Computerspiel- Designer der Welt. Er gilt als Experte für Simulationsspiele und entwickelte unter anderem Titel wie "Populus", "Dungeon Keeper" und "Black & White". 2004 wurde er für seine Verdienste um die britische Software- und Unterhaltungsindustrie von Prince Charles in den Order of the British Empire aufgenommen.

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DER STANDARD: Mr Molyneux, Sie arbeiten seit mehreren Jahrzehnten an Computer- und Videospielen. Jetzt ist mit der Xbox 360 der erste Vertreter der nächsten Hardware-Generation auf dem Markt. Sony und Nintendo ziehen 2006 nach. Was erwarten Sie sich?

Molyneux: Es ist wie mit jedem Veränderungsprozess: Wenn man selbst mittendrin steckt, weiß man oft am wenigsten, was am Ende rauskommt. Unsere Industrie hat bereits eine ganze Reihe von Hardware-Revolutionen durchlebt, aber diese scheint tatsächlich ziemlich wichtig zu werden. Xbox 360 und Playstation 3 - das ist nicht nur ein neuer Chip. Die neuen Games werden versuchen, mehr zu sein als nur Spiele. Man wird seine eigene Musik im Spiel abspielen können. Sie werden es dir möglich machen, online Freunde zu finden. Film, Musik, Kommunikation - die Konsolen wollen den Fernseher als Mittelpunkt des Wohnzimmers ersetzen.

DER STANDARD: Jeder Generationenwechsel wurde bislang mit großen Versprechungen von neuen Hardware-Wundern und Interaktionsformen unterstützt. Am Ende bleibt doch meist alles wie zuvor.

Molyneux: Schon. Aber: Dieser "Shift" wird möglicherweise eine ähnliche Wirkungskraft haben wie die Einführung des Farbfernsehens. Die alten Konsolen sind schwarz-weiß. Jetzt kommen die Farben. Und deshalb werden wir in den nächsten Monaten die größte Marketingschlacht erleben, die jemals auf diesem Planeten geschlagen wurde. Denn Sony und Microsoft wissen: Der Preis ist ein Produkt wie das Farbfernsehen. Als Microsoft die neue Xbox uns Entwicklern präsentierte, haben sie keine neuen Grafiken gezeigt, sondern nur eine Nummer: 1 Milliarde! Wenn es nach Microsoft geht, dann spielen demnächst so viele Menschen an der Konsole. Ein Sechstel der Weltbevölkerung. Das ist sehr ambitioniert, aber das Lustigste ist: Es ist nicht unmöglich. Was für ein Markt! Und dieses Mal kann es nur einen geben.

DER STANDARD: Das klingt so dramatisch.

Molyneux: Sehr. In den kommenden Monaten werden Sie nicht das Haus verlassen oder den Bus nehmen können, ohne mit einem dieser Produkte konfrontiert zu werden. Jeder verfügbare Marketingraum wird ein neues Spiel, eine neue Anwendung, einen neuen Service promoten. Es ist beängstigend und aufregend zugleich. Denn es ist ein Bruch - wenn auch nur in der Konsumkultur. Und wir erleben nicht so viel in unserem Leben. The future of entertainment begins. Ich weiß, ich klinge wie ein PR-Fuzzi. Aber die könnten dieses mal Recht haben.

DER STANDARD: Wie werden sich die Spiele selbst verändern? Oder werden die unwichtiger?

Molyneux: Games bleiben die Kernkompetenz der Konsole. Die Spiele werden sicher schöner, komplexer und flüssiger werden. Aber das ist keine Revolution. Die Formel für ein gutes Spiel wird gleich bleiben.

DER STANDARD: Wie sieht diese Formel aus?

Molyneux: Es muss einfach sein und komplex, schnell und tief, wunderschön und durchdacht. Wenn ein Spiel diese paradoxen Forderungen erfüllen kann, dann ist es ein gelungenes Projekt. Das Wichtigste ist: Heutzutage mit dem ganzen Unterhaltungskram um uns herum haben auch die Videospiele nur 15 Sekunden der Zeit ihres Users, bevor dessen Augen weiterwandern, zu seiner DVD-Sammlung, bevor er MTV anschaltet oder beginnt, ein Buch zu lesen. In diesen 15 Sekunden muss es möglich sein zu verstehen, was das Spiel von dir will. Aber unter der Oberfläche muss sich eine unglaublich komplexe Welt auftun. Denn sonst langweilen sich die Spieler schnell. In meinem letzten Spiel "The Movies" ist mir das, glaube ich, ganz gut gelungen: Man managet als Produzent ein Filmstudio in Hollywood, und zu Beginn kann man ein paar Filme in Auftrag geben, Stars auf der Straße finden, Geld verdienen. Alles ganz einfach. Später wird man selbst kleine virtuelle Filmchen drehen, schneiden und vertonen. Also Kunst! Das ist es, was ich mit unterschiedlicher Tiefe meine.

DER STANDARD: Es wird sich also nicht nur die Grafik verändern?

Molyneux: Nein. Ein erster Punkt ist, dass man aufhören muss, in Genres zu denken. Nehmen Sie das extrem erfolgreiche "GrandTheftAuto: San Andreas", das ist ein Renn-Action-Rollen-Spiel. Eine Kombination aus vielen Dingen. Eines unserer letzten Spiele heißt "Black-White 2", es ist eine Mischung aus Strategie- und Rollenspiel. Die nächste Spiele-Generation wird die Erfahrung des Spiels in den Vordergrund rücken. Es geht nicht nur um eine Plot-Linie, die so starr und unveränderbar ist wie eine Eisenbahnschiene. Wir haben plötzlich unendlich viele Straßenkreuzungen, und du musst dir deinen eigenen Weg suchen: Man trifft so viele Entscheidungen, und die virtuelle Welt wird sich anpassen und am Ende reflektieren, was du in dem Spiel gesucht hast. Und ich behaupte einmal: Nach dem Spiel würde ich eine Menge über den Menschen wissen, der es gespielt hat.

DER STANDARD: Was werden Sie selbst mit den neuen Möglichkeiten der Next Gen anfangen?

Molyneux: Ich glaube, die neue Generation gibt uns endlich das Werkzeug in die Hand, um mit dem Medium des Videospiels die Kunst des Erzählens von Grund auf zu verändern. Unterhaltung, das bedeutete bislang immer, dass man dem Publikum immer nur die Geschichten anderer Leute erzählt hat. Die Technik der Computerspiele wird das ändern. Das beste Beispiel ist vielleicht ein Spiel, an dem wir gerade arbeiten. Es heißt "Dimitri". Wir simulieren eine Welt, und die Geschichte des Spiels erlaubt es dem User, das eigene Leben noch einmal zu spielen. Man muss nicht mehr virtuelle Welten und Leben retten. Man soll sein eigenes, individuelles Leben nachspielen können. Was mich an der Idee fasziniert hat, ist, dass wir uns doch beinahe jeden Tag sagen: "Wenn ich nur . . ." - "Wenn ich nur mehr gearbeitet hätte, wenn ich nur weniger getrunken hätte, wenn ich nicht den ganzen Tag vor der Glotze gehangen wäre - dann wäre mein Leben sicher anders verlaufen." Mit "Dimitri" wollen wir den Menschen eine Möglichkeit geben, eine Antwort auf derartige Fragen zu bekommen. Das ist natürlich nur begrenzt ernst gemeint und in gewisser Weise immer noch eine Geschichte, aber eine persönliche, und deshalb ist sie einzigartig. Was Videospiele von Filmen und Romanen unterscheidet, ist das: Sie sind schlau genug, Erlebnisse zu liefern, die für uns einzigartig und persönlich sind. (DER STANDARD/Rondo, Printausgabe, 16.12.2005)