Foto: K&Ö
Graz – Es ist – nach dem Kunsthaus – die wohl heikelste architektonische Intervention in die Grazer Altstadt. Die historische Dachlandschaft hatte mit den Ausschlag gegeben, dass die steirische Landeshauptstadt 1999 von der Unesco den Titel „Weltkulturerbe“ verliehen bekam.

Und genau hier im Herzstück der Altstadtzone, im Umfeld des nach wie vor mit zum Teil desolat-unzeitgemäßen Standln verstellten Hauptplatzes, plant das junge Führungsduo des Traditionskaufhauses Kastner & Öhler, Martin Wäg und Thomas Böck, auf der Basis einer Konzeption des spanischen Architektenduos „Nieto/Sobejano“ einen massiven, aber spannenden Eingriff, der bei der Beobachtungsstelle der Unesco, Icomos, bereits die Alarmglocken läuten lässt.

Rundblick

Die Verkaufsflächen „im Kastner“ – wie das 1873 in Tschechien gegründete Unternehmen in Graz vertraut genannt wird – soll um 10.000 auf 50.000 Quadratmeter erweitert werden. Auf das innen umgebaute Haus soll eine großzügige Dachlandschaft samt Restaurant mit „360- Grad-Rundblick“ aufgesetzt werden. Unterschiedliche Höhenlinien im Projekt sollen das historische Stadtbild durchaus erhalten.

Wenn auch in zeitgemäß weiterentwickelter Formensprache: Recht ungewöhnlich ist die Allianz für den an Wellenformationen erinnernden Aufbau. Bundesdenkmalamt, Stadtplanung und sogar die Altstadt- Sachverständigenkommission (ASVK) befürworten das rund 20 Millionen Euro teure Projekt. Erstaunlich auch die politische Harmonie: SPÖ, ÖVP, Grüne und auch KPÖ zeigten sich vom Entwurf begeistert. Hält dieser Zustand an, könnte im Herbst 2006 mit dem Bau begonnen werden. Um das Kastner-Projekt völlig abzusichern, schlägt die Wirtschaftskammer gar den Verzicht auf den Titel „Weltkulturerbe“ vor.

"Fesseln lösen"

Der Grazer WK-Obmann Ulfried Hainzl: „Eine lebendige Stadt wie Graz darf zu keinem Museum verkommen und daher müssen alle Fesseln gelöst werden.“ Das Motiv des Vorstoßes liegt im – nicht nur Graz drückenden – Problem der Einkaufszentren in den städtischen Speckgürteln. „Der Kastner“ ist das letzte verbliebene Großkaufhaus in der Innenstadt und als Frequenzbringer ein Asset. Zöge auch Kastner & Öhler aus, käme dies einem dramatischen Einbruch der Handelsbilanz der Grazer City gleich. „K & Ö“ hatte zuletzt mit 1640 Mitarbeitern im In- und Ausland einen Umsatz in der Höhe von rund 240 Millionen Euro erwirtschaftet. (Walter Müller, DER STANDARD Printausgabe, 17./18.12.2005)