der Standard: Denken Sie an das letzte Gerät, das Sie gekauft haben: Haben die Anleitung gelesen?

Susanne Göpferich: In dem Fall nicht. Es war ein Bildschirm, den ein EDV-Techniker für mich angeschlossen hat. Aber es ist typisch: Der übliche Nutzer wurstelt herum. Erst, wenn etwas nicht klappt, schaut man in die Anleitung. Ich empfehle, schon vor dem Kauf reinzuschauen. Und greifen Sie zum Konkurrenzprodukt, wenn es die bessere Anleitung hat!

Foto: Typemuseum

der Standard: Sie meinen, dass der eingelegte Papierkram zum Absatz beiträgt?

Göpferich: Die wenigsten reißen im Laden die Verpackung auf, um die Anleitung zu studieren. Aber wer einmal die Weihnachtsfeiertage damit verbracht hat, ein Gerät anzuschließen, wird von diesem Hersteller nichts mehr kaufen.

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der Standard: Anleitungen haben ein schlechtes Image.

Göpferich: Stimmt, allerdings sind sie in letzter Zeit besser geworden. Anleitungen sind ein großes Thema, seit die EU die Produkthaftungsrichtlinie verabschiedet hat. Die Anleitung wird von Herstellern als fester Bestandteil des Produktes betrachtet. Ist sie fehlerhaft oder unverständlich, wird das juristisch genauso gewertet wie ein defektes Kabel.

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der Standard: Sind Unternehmen für Fehler in der Anleitung je verurteilt worden?

Göpferich: Es gibt das berühmte Honda-Urteil: Motorradfahrer, die Verkleidungen anderer Hersteller montiert haben, die passten, aber ab einer bestimmten Geschwindigkeit der Maschine Auftrieb gaben, erlitten schwere Unfälle. Da flossen Millionen. Honda hätte in die Anleitung schreiben müssen, dass nur originale Verkleidungen montiert werden dürfen.

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Die Tendenz ist leider, dass ein Sicherheitshinweis, der einmal in die Anleitung steht, in den seltensten Fällen wieder gestrichen wird: Schauen Sie durch den Sucher Ihrer Kamera und nicht in die Sonne, sonst schädigen Sie Ihre Netzhaut. Stellen Sie sicher, dass Kinder sich den Plastiksack, mit dem die Kamera ausgeliefert wird, nicht über den Kopf ziehen.

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der Standard: Klingt nach einer Handreichung für den US-Markt.

Göpferich: Mag sein, dass das mit der strengen Haftung in den USA zusammenhängt, aber der Übersetzer hat vergessen, die Anleitung den hiesigen Gegebenheiten anzupassen. Der Nutzer fühlt sich verschaukelt, wenn ihm vorne gesagt wird, lesen Sie unbedingt die ersten drei Seiten, und sagt sich nach solchen Hinweisen, was steht denn da für Lullikram drin, und wirft die Anleitung weg. Dann besteht die Gefahr, dass das, was wirklich wichtig ist, nicht gelesen wird.

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der Standard: Wer redet dem technischen Redakteur - außer den Juristen - noch dazwischen?

Göpferich: Die Marketingabteilung. Da muss dann ein schöner englischer Name her, den Otto Normalverbraucher aber nicht versteht: Thermotronic statt Klimaanlage. Wenn der Kunde viel Geld für Thermotronic bezahlt, soll er in der Anleitung auch etwas über Thermotronic lesen, auch wenn selbsterklärende Begriffe wie Klimaanlage besser verstanden werden.

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der Standard: Haben auch die Entwickler die Finger drauf?

Göpferich: Bei Anleitungen für Laiennutzer ist das selten nötig. Hinter herkommen schon Kommentare wie: Das heißt Fahrtrichtungsanzeiger und nicht Blinker. Aber es ist nicht ausschlaggebend, ob dem Entwickler gefällt, was in der Anleitung steht. Früher wurden die Anleitungen oft von alten Ingenieuren geschrieben. Die waren auf andere Textsorten getrimmt: Spezifikationen, wie das Produkt funktioniert, für den Einkauf, für die Entwickler, für die Tester. Die sind von Firmenjargon geprägt.

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der Standard: Werden Anleitungen immer noch von Ingenieuren verfasst?

Göpferich: Das erkennt man daran, dass die Funktionen nacheinander durchgegangen werden: Menüpunkt 1: Da wird das mitgemacht. Menüpunkt 2: Dient zu jenem. Der Anwender fragt aber nicht, was kann ich mit der Taste machen. Der fragt: Wo kann ich meine Sitzheizung einschalten? Wo muss ich drehen, wenn sie nicht schnell genug heiß wird? Wichtig ist, dass man eindeutig kennzeichnet, wann man instruiert und wann man beschreibt. Nehme ich den Imperativ (Drücken Sie die Taste!), ist klar, dass es nur als Instruktion gemeint sein kann.

der Standard: In Anleitungen steht aber oft: Taste drücken!

Göpferich: Bei einer Werkstattanleitung haben Sie zig Instruktionsschritte. Da wären Formulierungen mit Imperativ, in denen jedes Mal Sie vorkommt, zu umständlich, weil die Texte unter Zeitdruck gelesen werden. In einer Anleitung für eine Kaffeemaschine klingt die höfliche Ansprache besser. Man muss seine Sprache immer anpassen.

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der Standard: Sie bieten Unternehmen an, eine "kontrollierte Sprache" zu entwickeln. Wie geht das?

Göpferich: Es gibt gleichbedeutende Wörter wie z. B. Alufelge und Leichtmetallscheibenrad oder Schwungscheibe. Es wird vereinbart, dass nur noch eines der Wörter verwendet werden darf; die anderen werden gestrichen. Es ist sinnvoll, dass in Anleitungen z. B. nicht von "wir" geredet wird, sondern der Firmenname dastehen muss.

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Auch bei grammatischen Konstruktionen kann es angebracht sein, Beschränkungen festzulegen, z. B., dass Bedingungssätze immer mit einer Konjunktion beginnen müssen (z. B. Wenn Sie die Maus benutzen, . . . anstatt: Benutzen Sie die Maus, . . .). Bei Instruktion, die an eine Bedingung geknüpft sind, ist es sinnvoll, dass die Bedingung zuerst genannt wird. Es gibt nämlich Leute mit geringer Lesekompetenz, die immer nur ein Stück lesen und etwas, das sie verstanden haben, ausführen, bevor sie weiterlesen.

der Standard: Was bringt das außer Einschränkungen?
Göpferich: Übersetzungsgerechte Texte. Hersteller exportieren Produkte, das Übersetzungsvolumen steigt mit der Globalisierung stark an. Schlechte Ausgangstexte treiben die Kosten in die Höhe.

der Standard: Haben Sie ein Beispiel für einen nicht übersetzungsgerechten Satz?
Göpferich: "Regler auf null" zum Beispiel. Hier wird nicht klar, ob "Regler auf null stellen" oder "Regler steht auf null" gemeint ist, weil das Verb fehlt. Außerdem lässt die Form offen, ob es ein Regler oder mehrere Regler sind. Der Übersetzer muss nachfragen. Bei vielen Sprachen kommt da einiges zusammen.

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der Standard: Warum kursieren noch immer unverständliche Anleitungen?

Göpferich: Das sind maschinelle Übersetzungen von Billigprodukten aus dem asiatischen Raum. Dass solche Übersetzungen nicht funktionieren, weiß man. Wir setzen Translation Memorys ein. Diese Software gliedert den Ausgangstext in Segmente und ordnet ihnen die zielsprachlichen Entsprechungen zu, die von einem menschlichen Übersetzer angefertigt wurden, und legt diese in einer Datenbank ab.

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Phrasen, die sich wiederholen, brauche ich dann nicht neu übersetzen - sie können aus der Datenbank abgerufen werden. Eine Terminologiedatenbank zeigt mir an, wie ich einen Begriff vorher übersetzt habe. Das Translation Memory lohnt sich auch, wenn ein halbes Jahr später die nächste Version des Produkts auf den Markt kommt und zur Anleitung zehn Prozent dazukommen.

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der Standard: Wie testen Sie, ob eine Anleitung funktioniert oder nicht?

Göpferich: Wir filmen etwa, wie eine Sekretärin bei einem komplizierten Kopier-Auftrag mit der Anleitung umgeht: Sie sucht im Inhaltsverzeichnis unter "Verkleinern", bis sie nach einer Weile merkt, dass es "Größenveränderung" heißt. Sie stutzt, weil von einer "Multifunktionstaste" die Rede ist, aber auf keiner Taste "Multifunktion" steht. Wenn es die einzige grüne Taste ist, hätte da besser gestanden: Drücken Sie die grüne Taste.

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Leider ist so ein Austesten die Ausnahme, weil Hersteller die Kosten scheuen. Wenn ein Produkt fertig ist, muss es schnell auf den Markt, damit die Entwicklungskosten wieder reinkommen. (Das Interview führte Stefan Löffler, DER STANDARD, Rondo, Printausgabe vom 16.12.2005)

Die Fotos wurden zur Verfügung gestellt von typemuseum.at.

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