Andrea Breth über den Generalton in Lessings "Minna von Barnhelm": "Geld, Geld, nochmals Geld."

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In den Hauptrollen ab kommenden Freitag: Sabine Haupt und Sven-Eric Bechtolf.

Foto: Georg Soulek/Burgtheater

"Minna von Barnhelm" hat kommenden Freitag am Burgtheater Premiere. Ein aufklärerischer Lokalaugenschein mit Ronald Pohl.

STANDARD: Lessings "Minna von Barnhelm" handelt von der als ruinös erfahrenen Heimkehr aus dem Krieg: Kein übermäßig aktuelles Thema, so scheint es, auch weil wir uns seit 1945 als Träger einer Friedenskultur ansehen. Was macht den Initialreiz der Beschäftigung mit diesem "Lustspiel" für Sie aus?

Breth: Das Stück erschöpft sich nicht in dem Heimkehrerthema: Was passiert, fragt Lessing, eigentlich mit einem Menschen, der wie Tellheim der Meinung war, richtig gehandelt zu haben? Soweit das in einem Krieg überhaupt möglich ist. Mit einem Mal wird er zu einer Art Kriegsgefangenem - indem er Berlin nicht verlassen darf - und verliert vollkommen die Zielsetzung seines Lebens. Das Stück wird ja leichthin damit abgetan, dass man sagt, es stelle lediglich die altmodische Frage nach der "Ehre". Obwohl ich auch nicht glaube, dass Ehre ein unbedingt altmodischer Begriff ist . . .

STANDARD: Weil wir genauso empfindlich sind wie die Menschen zu Lessings Zeiten?

Breth: Ja, ich finde das Abtun der "Ehre" oft etwas flapsig. Sagt einer einmal nicht "Guten Tag" zu uns, kann man sich bereits einen ganzen Tag lang mit den Gründen beschäftigen, die dafür ausschlaggebend waren. Nein, Tellheim hat sich so verhalten, wie es in den kriegerischen Auseinandersetzungen des Siebenjährigen Krieges von ihm erwartet wurde - und stürzt in eine Art Lebenskrise, die wirklich tragisch ist, weil seine Geliebte, das Fräulein von Barnhelm, die Zeit, die Kriegswirren nicht so erlebt hat wie er und ihn nicht verstehen kann.

STANDARD: Minna reist ihrem Tellheim nach. Er ist aufgrund unbewiesener Beschuldigungen in die Ungunst des Königs gefallen. Sie fühlt sich kurz vor dem Wiedersehen, das eine große Enttäuschung für sie bereithält, ganz "wirblicht" - so schreibt es Lessing. Sie empfindet also stark?

Breth: Vor Tellheim begegnet sie noch seinem Bedienten Just - einem unkomplizierten, nicht gerade konzilianten Menschen und fanatischen Verteidiger der Gerechtigkeit. Sie begegnet, was ihr völlig ungeläufig ist: Menschen, die vom Krieg gezeichnet sind.

Gerade in der österreichischen Literatur ist das doch auf das Allerfeinste beschrieben - wunderbar bei Joseph Roth, wo Männer zurückkehren und ihre Frauen nicht wiedererkennen, und umgekehrt. Sie verändern sich, werden plötzlich lesbisch und so weiter. Was ich damit sagen möchte: Der Krieg findet zwischen den Geschlechtern statt! Sie können sich nicht mehr erkennen - und erkennen sich selbst nicht mehr.

Zwei unterschiedliche Erfahrungen prallen aufeinander. Und diese Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern finde ich zum Beispiel raffinierter als bei Strindberg: Wenn Tellheim schließlich sein Rettersyndrom entwickeln kann, lernt er von sich abzusehen - und sein Gegenüber wieder zu sehen. Er lernt zu erkennen! Gleichzeitig beleidigt er Minna damit ungeheuer - denn ihr konzediert er das ja nicht.

Lessing schreibt nun in den fünften Akt eine beinharte Auseinandersetzung zwischen Mann und Frau hinein: Unglaublich! Ich habe selten einen so emanzipatorischen Text gelesen, der ja nach wie vor gültig ist. Wenn heute eine erwachsene, berufstätige Frau sagt: Du, Schatz, ich habe da ein Angebot aus Singapur - das nehmen wir an, du kannst ja deinen Beruf aufgeben . . . Das kennen wir doch bloß umgekehrt. Der Mann erwartet von ihr, dass sie sagt: Klar doch, machen wir! Das finde ich an dem Stück so zeitgenössisch.

Und das Verblüffende dabei ist, dass es sich um ein Zeitstück handelt, also ein Stück aus seiner Zeit. Er gibt sogar ein präzises Datum an, den 22. August 1763, ein halbes Jahr nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges. Gotthold Ephraim Lessing selbst hat den Krieg übrigens als Sekretär des Generals von Tauentzien erlebt, dessen Korrespondenzen er erledigen musste.

STANDARD: Beschreibt Lessing in der Minna nicht auch folgendes hochmoderne Thema: Dass sich Menschen mit- und aneinander verschulden?

Breth: Schulden im Wortsinne: Ein wesentlicher Protagonist des Stückes, den man schwerlich ignorieren kann, ist das Geld.

STANDARD: Geld, das Besitztum an den Körpern ausbildet?

Breth: Das Stück zeigt unter anderem, was das Geld mit uns macht, besonders wenn wir es nicht mehr haben. Wenn Sie sich herausschreiben, welche Wörter in dem Stück am häufigsten benutzt werden, werden Sie feststellen: Geld, Geld, und nochmals Geld. Das ist der Kammerton A, den Sie ununterbrochen im Ohr haben.

STANDARD: Das Geld hat also, mit Marx und mit Blick auf die Minna gesprochen, noch immer seine "theologischen Mucken"?

Breth: Was haben Sie jetzt gesagt? Marx? Ist der bewohnt oder nicht? Schauen Sie: Wenn heute jemand arbeitslos wird, dann spielt er gesellschaftlich keine Rolle mehr. Und wenn Sie plötzlich keine Wohnung mehr haben - weil wir jetzt so nett beieinander sitzen -, und wir treffen uns in ein paar Jahren wieder, Sie können noch immer Ihre Miete bezahlen, und ich sitze auf der Straße. Was wäre der Effekt? Ich würde vor lauter Scham hoffen, dass Sie mich nicht erkennen!

STANDARD: Gott möge abhüten! Aber Sie arbeiten weiter am Wiener Burgtheater - ab nun auch mit dem Schwerpunkt des monumentalen Schiller-Wallensteins, der im Oktober 2006 Burg-Premiere hat.

Breth: Ich bin bereits voll und ganz mit den Vorarbeiten beschäftigt. Wir werden dieses Riesending, für mich das politische Stück in deutscher Sprache schlechthin, an zwei Abenden und an Wochenenden vollständig anbieten. Ich beschäftige mich bereits mit solchen Fragen wie der, was wir zum Beispiel den Besuchern in der Pause anbieten werden, um ein "Wallensteins Lager"-Gefühl zu erzeugen.

STANDARD: Sie könnten ja aus Mutter Courages Planwagen den Proviant beziehen.

Breth: Mit der Courage können Sie mich aber jagen!

STANDARD: Auch mit der Vorstellung, am Burgtheater in die Leitungsfunktion zu treten?

Breth: Ich bin zwar "Hausregisseurin" an der Burg und mache pro Spielzeit zwei Arbeiten. Aber das ist auch alles. Abgesehen davon ist der Titel eines Burgtheaterdirektors kein Amt, für das man aufzeigt. (DER STANDARD, Printausgabe, 10./11.12.2005)