Als "Österreicher, Wiener und Europäer serbischer Herkunft" sah sich der in Budapest als Sohn serbischer Eltern geborene und 1943 von den National- sozialisten nach Wien verschleppte Milo Dor.

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Wien - "Zuletzt bin ich weder der Schreibende noch der Zuschauer. Ich bin nur die Spur, die zwischen den nackten Häusern verläuft, ich bin nur der Schatten, der auf die schreibenden Hand fällt und sie verdunkelt." Das Verschwinden des Autors in der sprachlichen Spur eines - autobiografisch oder fiktiv geschöpften - Lebens: Milo Dor hatte es früh erprobt.

Bereits mit seinem ersten Roman, Tote auf Urlaub, hatte der 29-Jährige 1952 eine unbequeme Spur in das auf Vergessen der jüngsten Vergangenheit gestimmte Österreich gelegt. Denn Tote auf Urlaub protokolliert mit größter Genauigkeit die Foltermethoden der Nationalsozialisten. Milo Dor, serbischer Widerstandskämpfer wie sein Protagonist Mladen Raikow, hatte sie am eigenen Leib erlitten.

Das Buch, eine der frühesten und wichtigsten literarischen Auseinandersetzungen der deutschsprachigen Literatur mit dem Nationalsozialismus, etablierte Milo Dor als wache Stimme des Humanismus im Nachkriegs-Wien. In der Stadt, in die er 1943 als Zwangsarbeiter deportiert worden war - in der er nach 1945 wohnen blieb und deren Sprache er sich aneignete, um von 1946 an ausschließlich in ihr zu publizieren. Mit Nichts als Erinnerung (1959) und Die weiße Stadt (1969) ergänzte Dor sein literarisches Hauptwerk zur Trilogie und die Raikow-Saga um Vor- und Nachkriegsjahre im Leben seines Protagonisten.

Geboren als Milutin Doroslovac am 7. März 1923 in Budapest als Sohn eines serbischen Arztes, aufgewachsen in Belgrad, hatte er sich nach der Besetzung der Stadt durch deutsche Truppen dem serbischen Widerstand angeschlossen und war 1942 in Gefangenschaft der Nationalsozialisten geraten.

Klare Stellung bezog er auch in späteren Jahren: so im Protest gegen einen Bundespräsidenten Kurt Waldheim, als Herausgeber der Dokumente des Widerstands gegen Dr. Kurt Waldheim: Die Leiche im Keller (1988). Oder, während des Jugoslawienkriegs, als Mahner an die Existenz eines "anderen" jugoslawischen Denkens und Schreibens, dem er seit Jahrzehnten, als Übersetzer von Ivo Andric oder Miroslav Krleza, zu Bekanntheit verholfen hatte.

Am Montag erlag Milo Dor in Wien 82-jährig den Folgen einer Herzattacke. (DER STANDARD, Printausgabe, 06.12.2005)