Frankfurt/Berlin/London - Vor der heiklen Europareise von US-Außenministerin Condoleezza Rice sind neue Details über die umstrittenen CIA-Geheimflüge und den Umgang mit Terrorverdächtigen bekannt geworden. Damit befassen sich am Montag zahlreiche Blätter:

Frankfurter Rundschau

"Richten sich die Fragen der lästigen Europäer statt an die Urheber des Skandals an die eigenen Regierungen, waren sie Mitwisser und bis zu welchem Grad? Das Ablenkungsmanöver der US-Außenministerin könnte klappen. Dann nämlich, wenn sich die europäischen Regierungen in ihr Kartell des Schweigens hineinziehen ließen. Wenn die, die vielleicht von CIA-Flügen wussten, die vielleicht von geheimen Gefangenentransporten ahnten, sich verschreckt zurückzögen. Nur nicht länger dran rühren. Wenn also Mitwisser in vollem Bewusstsein zu Mitschuldigen mutierten. So funktionieren Unrechtssysteme, in denen Verbrechen durch die Vertuschungen kleiner oder mittlerer Sünder gedeckt werden. Nicht um Flugbewegungen, sondern um Verbrechen geht es hier schließlich, um Freiheitsberaubung, Verschleppung, Folter, auch wenn die USA darunter anderes verstehen als die Weltgemeinschaft. Gegen dieses System der 'Omerta', der Mitschuld durch Schweigen, hilft nur Aufklärung. Demokratische Regierungen stehen in der hehren Pflicht, die Freiheit der Menschen in ihrem Hoheitsgebiet zu schützen. Wenn sie diesen Auftrag missachten, ist Alarm auszurufen für den Rechtsstaat. Im Moment herrscht jedenfalls Verdunklungsgefahr - auch in Europa!"

Berliner Zeitung

"Es ist noch schlimmer als bisher bekannt: Nicht nur etwa hundert geheime CIA-Flüge liefen in den vergangenen fünf Jahren über Deutschland - mindestens 437 sind es offenbar gewesen. Da trifft es sich gut, dass US-Außenministerin Rice am Montagabend in Berlin eintrifft. (...) Sie wolle 'klarmachen, dass wir nicht Menschen um die Welt transportieren, um sie zu foltern'. Dieser Punkt bestimmt die Debatte in den USA - nicht die Geheimflüge, sondern die Frage, ob Terrorverdächtige in Foltergefängnisse transportiert wurden und welche Methoden Geheimdienste einsetzen, um an Informationen zu gelangen. (...) Auch innerhalb der CIA ist man offenbar unsicher, ob Tortur eine gute Form der Nachrichtenbeschaffung ist. In den ehemaligen Ostblockstaaten gebe es Experten, die eine 'subtilere' Befragungsform beherrschen. Es seien Befragungsmethoden, die noch aus den Zeiten des Kalten Krieges stammen."

Handelsblatt

"Die Kern-Botschaft (von Rice) wird sein: Beim Kampf gegen den Terror ziehen unsere Geheimdienste an einem Strang. 'Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.' Nach Angaben aus dem US-Außenministerium könnte Rice verschlüsselt andeuten, dass die CIA-Operationen mit Kenntnis von 'wichtigen Regierungen' oder Geheimdienstvertretern abliefen. Dies könnte in Form eines Hinweises erfolgen, dass die USA die 'Souveränität ihrer Verbündeten respektierten', hieß es. Nach Ansicht der USA sind nun die Europäer am Zug. 'Die Regierungen haben die Verantwortung, ihren Öffentlichkeiten so deutlich wie möglich zu erklären, was sie im Krieg gegen den Terror tun', unterstrich Außenamtssprecher Sean McCormack. US-Experten bezeichnen den Rice-Besuch als schwierigen Balance-Akt: Wenn es ihr gelingt, die Gemeinsamkeiten in der Anti-Terror-Kampagne hervorzuheben, ist der Schaden für die transatlantischen Beziehungen gering."

The Daily Telegraph

"Es ist aufschlussreich, sich anzuschauen, auf welchen Gebieten die Interessen ihres Landes mit denen der EU im Widerstreit liegen. Sie betreffen sechs Kategorien: Kuba, Iran, Irak, Israel, China und was man etwas locker als als 'Supranationalismus' bezeichnen könnte - also die Macht der Vereinten Nationen, den Kyoto-Prozess, den Internationalen Strafgerichtshof und so weiter. Diese Dispute sind nicht voneinander getrennt; sie sind jeweils verbunden durch einen ideologischen Faden. In jedem Falle sind die USA pro Demokratie, während die EU pro Stabilität ist. (...) Rice sollte vorsichtig sein. Vierzig Jahre solider Washingtoner Unterstützung für die EU haben nicht zu einem gleichwertigen Pro-Amerikanismus in Brüssel geführt. Wie sie schon vorher bemerkt hat und nun erneut feststellen wird, entwickeln Europäer oft einen psychopathischen Drang, die Hand zu beißen, die sie befreit hat."

The Independent

"Die britische Regierung hat eine doppelte Verantwortung: Nachdem sie endlich aufgewacht ist, muss sie die Anwendung von Folter in Worten und Taten verurteilen. Jack Straw (der britische Außenminister) muss den Amerikanern klar machen, dass Flugzeuge mit Gefangenen nicht über dieses Land fliegen dürfen. Wahrscheinlich wird aus den USA bald ein Brief kommen, der die Europäer mit vorsichtigen Formulierungen beschwichtigen will. Damit dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Wenn auf unsere Worte keine Taten folgen, reduzieren wir uns moralisch auf dasselbe Niveau wie die Terroristen, die wir bekämpfen..."

Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Bei diesem transatlantischen Streit geht es wieder einmal ums Ganze: Es geht um die Frage, was im 'Krieg gegen den Terrorismus' erlaubt sein soll und wer in diesem Krieg unter amerikanischer Führung überhaupt noch und unter welchen Bedingungen mitzukämpfen bereit ist. Unabhängig von der Debatte in Europa über die CIA-Flüge, die selbst von der notorisch europafreundlichen Führung des State Departments unter Rice als jüngste Aufwallung des grassierenden Antiamerikanismus betrachtet wird, hat in den Vereinigten Staaten die Grundsatzdebatte über Folter und 'harte Behandlung' von mutmaßlichen Terroristen neuen Schwung gewonnen..."

Der Tagesspiegel, Berlin

"Der Deutschland-Besuch der US-Außenministerin wird von neuen Berichten über geheime Methoden der CIA bei Entführungen und Verhören von Terrorverdächtigen schwer belastet. Laut 'Washington Post' hat der US-Geheimdienst vor zwei Jahren versehentlich den in Deutschland lebenden gebürtigen Libanesen Khaled al-Masri verschleppt, fünf Monate lang in Afghanistan festgehalten und gequält. Der damalige US-Botschafter in Berlin habe im Mai 2004 Innenminister Otto Schily von dem Versehen und der bevorstehenden Freilassung des deutschen Staatsbürgers informiert und Schily gleichzeitig um strikte Geheimhaltung gebeten, schreibt die Zeitung. Damit stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung entgegen offizieller Darstellung von den CIA-Praktiken Kenntnis hatte und sie duldete. (...) Wie gut für Otto Schily, dass es einen Regierungswechsel gab. (...) Diese Irreführung der Öffentlichkeit ist ein schweres Erbe. Wie soll sie jetzt verstehen, warum die Bundesregierung manches deckte? Und: Ist denkbar, dass Außenminister Frank-Walter Steinmeier, damals Kanzleramtschef und zuständig für die Geheimdienste, nicht wusste, was Schily erfuhr? Bei welchen CIA-Aktionen war Rot-Grün noch stummer Mitwisser?"

(APA/dpa)