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Racheschwüre vor dem Plastikschwan: Janine Baechle als Ortrud und Falk Struckmann als Telramund im Kampf gegen die hilflose "Lohengrin"-Inszenierung an der Staatsoper.

Foto: APA/Techt
Die Sänger, allen voran Johan Botha in der Titelpartie, wurden stürmisch bejubelt, die Inszenierung wurde vom Publikum einhellig mit wütenden Buhrufen quittiert.


Wien - Wolfgang Wagner weiß von einer Bayreuther Lohengrin-Produktion aus dem Jahr 1936 zu berichten, bei der die Gralserzählung, wie diesmal in Wien, ebenfalls ohne die von seinem Großpapa persönlich vorgenommene Kürzung gesungen wurde. Als Franz Völker damals nach deren üblichem Ende erneut zu singen begann, soll Adolf Hitler entsetzt von seinem Logensitz hochgefahren sein - und sich damit vor dem Wagner-Clan als intimer Kenner des Werkes ausgewiesen haben.

Schwer zu sagen, wann und ob es den musischen Braunauer in der samstägigen Staatsopernpremiere vom Sessel gerissen hätte. Jedenfalls nicht bei der Gralserzählung.

Denn Johan Botha hätte man gerne auch noch länger zugehört. Im Unterschied zu vielen seiner Vorgänger (von James King bis Placido Domingo), bei denen man schon froh war, wenn sie die herkömmliche Version der Gralserzählung einigermaßen durchhielten, scheint Botha geradezu unermüdlich. Die lyrische Kraft seiner Wiedergabe und vor allem auch das maskuline Timbre seiner Kopftöne verdienten die jubelnde Bewunderung, die er erntete.

So gesehen ist es fast als Kunstgriff von Barrie Koskys ziemlich unbeholfen-infantiler Inszenierung anzusehen, dass er Elsa (Soile Isokoski) als Blinde agieren lässt.

Nicht nur dass die Liebe, in der sie zu ihrem Retter entbrennt, ausschließlich durch dessen stimmliche Attraktivität motiviert und so nachvollziehbar erscheint - es bleibt ihr im Unterschied zum Publikum auch noch weitere optische Ungemach erspart.

Vor allem muss Elsa den hässlichen Hosenanzug nicht sehen, in den sie Kostümbildner Klaus Grünberg steckt. Er sieht aus wie in aller Eile von Deutschlands Bundeskanzlerin geborgt.

Auch die einbeinigen Melkstockerln, auf denen der Regisseur die Frauen und Mannen von Brabant hocken und mit den Händen fuchteln lässt, muss sie nicht anschauen. Ebenso wenig wie das von Bühnenbildner Klaus Grünberg hingestellte Schrebergartenhäuschen, das erst als Palast und dann als Münster herhalten soll.

Embryonaler Gottfried

Und schon gar nicht die völlig sinnlosen Vogelmasken, die sich zum Hochzeitszug formieren. Auch der Anblick ihres Bruders Gottfried, der zum trübseligen Ende als Embryo in einer Birne aus dem Schnürboden schwebt, bleibt ihr wohltätig erspart. Freilich nur im Spiel. In der harten Probenwirklichkeit mussten die bedauernswerten Mitwirkenden diesen Nonsens mitansehen und mitmachen.

Das Ärgerliche an dieser Inszenierung ist weniger deren wirre optische Intention, die der Regisseur als eine Art Traumspiel verkauft. Es ist vielmehr die eklatante Schwerfälligkeit, mit der hier die diversen Aktionen ins Werk gesetzt werden. Vor allem der Umgang mit dem Chor und dessen differenzierte Bewegung scheinen für Barrie Kosky von unüberwindlicher Schwierigkeit.

Und nicht alle hatten Agnes Baltsas Glück, von diesem szenischen Wirrwarr krankheitshalber erlöst zu werden. Soile Isokoskis Elsa wirkte im ersten Akt jedenfalls noch hörbar irritiert und wurde ihrer Partie erst im Lauf der beiden folgenden Akte gerecht.

Janine Baechle als ihre Gegenspielerin Ortrud hatte wohl (vor allem in ihrer großen Szene mit Elsa) starke Augenblicke, doch die für die glaubhafte Verkörperung dieser Partie nötige auratische Kraft setzte manchmal aus.

Souveräne Herrenriege

Die souverän agierende Herrenriege dieser Produktion scheint gegenüber der Inszenierung jedenfalls robuster. Johan Botha hatte in Falk Struckmanns Telramund einen darstellerisch wie musikalisch ebenbürtigen Gegenspieler, der den ganzen optischen Firlefanz vergessen machte. Auch Kwangchul Youn brach mit der Tradition, dass König Heinrich im Lohengrin meist unhörbar bleibt. Und Adrian Eröd war ebenfalls ein Heerrufer von selten gehörter Intensität.

Das ziemlich lärmende orchestrale Unterfutter dazu lieferten das Staatsopernorchester unter Semyon Bychkov, der die Erwartungen, die man nach seiner fulminanten Daphne-Premiere des Vorjahres in ihn setzte, jedoch nicht ganz erfüllte.

Nicht nur dass er apart gekleidet in Hemdsärmeln zu dirigieren pflegt - manches klang diesmal auch sehr hemdsärmelig. Zum Beispiel gleich das Vorspiel mit einem dynamisch auffallend massiv gespielten Streicherbeginn und ziemlich ungebremst losdonnerndem Blech.

Dass sich mit Blechbläsern auch kultiviertere Interpretationsgrade erzielen lassen, wiesen Bychkov und das Orchester im Vorspiel zum dritten Akt nach. Gerade dieses dramaturgisch erratisch wirkende Orchesterstück erklang entgegen sonstiger Gepflogenheiten leicht, facettenreich und elegant.

Schade, dass sich diese Selbstzensur nicht auch in der Korrespondenz mit der Bühne die ganze Aufführung hindurch aufrechterhalten ließ, wodurch mancher dynamische Kampf zwischen Stimmen und Orchester zu vermeiden gewesen wäre. (DER STANDARD, Printausgabe, 05.12.2005)