Wien - Sittenbild der Universität Wien: Die (ausschließlich männlichen) Mitglieder des akademischen Senats sprechen sich gegen die Zulassung von Frauen zum Studium aus, da die Dozenten in der Folge ihre Vorlesungen "völlig umgestalten" müssten, um das Wissen, das sich für "das Ohr der Männer eignet, erst jenem der Frauen, namentlich züchtiger Jungfrauen, anzupassen genötigt wären, wodurch es sich wieder nicht für den männlichen Charakter eignen würde."

Der Beschluss stammt freilich aus dem Jahr 1872. Dass sich auch danach lange nichts bewegt hat, zeigt die Geschichtswissenschafterin Andrea Griesebner in ihrem jüngsten Buch "Feministische Geschichtswissenschaft. Eine Einführung" in präziser Nachzeichnung des langwierigen Wegs bis zur ersten weiblichen Studentin und des noch längeren Wegs bis zur ersten Professorin auf.

Ihre These über die Entstehungsbedingungen von Wissenschaft formuliert sie pointiert: "Während die Theologen die Bibel und die Historiker die Vergangenheit zur Hilfe riefen, setzten die Mediziner, Psychologen und Psychiater vor allem auf anatomische Unterschiede zwischen Frauen und Männern."

Im April 1887 war es dann so weit. Mit Baronin Gabriele Possanner hatte die Universität Wien ihre erste promovierte Medizinerin. Der Wermutstropfen: Studiert hatte die Baronin in Zürich, die Wiener Hochschule musste nur noch ihr Doktorat nostrifizieren.

Denn Prüfungen waren den wenigen weiblichen Studentinnen der Habsburger-Monarchie auch seit dem grundsätzlichen Ja zum Frauenstudium im Wintersemester 1878/79 nicht erlaubt. Galt es doch bereits als Gnade, "nur ganz ausnahmsweise und nur bei besonderen im einzelnen Falle zu würdigen Umständen" studieren zu dürfen.

Griesebner dokumentiert den Anteil der Wissenschafterinnen in Zahlen: Während im Wintersemester (WS) 1918/19 nur knapp 2000 Frauen inskribiert hatten, stieg ihr Anteil bis zum WS 1932/33 auf 4468. Jene 30 Prozent Frauen des Studienjahres 1945/46 schrumpften in den 50er-Jahren auf 18 Prozent - erst im WS 1973/74 erreichte man wieder 30 Prozent. (kmo/DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.12.2005)