Money talks: Mikrokredite haben diesen Frauen in Mittelägyptens geholfen. Das ergaben Interviews mit ihnen. Für sie hat sich ihr Status innerhalb der Familien verändert. In vielen Fällen wurden sie von den anderen (meist männlichen) Familienmitgliedern stärker als eigenständige Personen wahrgenommen - und respektiert.
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Der Großteil der Bevölkerung von Minia Governorate lebt im ländlichen Raum - unter denkbar schlechten Verhältnissen. Die landwirtschaftlichen Aktivitäten reichen als Lebensgrundlage für die Familien kaum aus. Besonders schwierig ist die Situation für die Frauen und Mädchen in diesen ländlichen Gegenden Mittelägyptens. Denn auf der sozialen Skala stehen sie ganz unten, deswegen werden sie - unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund - auch ungleich behandelt. Das traurige Fazit: Die jungen Frauen haben nur mangelhafte Möglichkeiten zur Schulausbildung und werden, vor allem was Schwangerschaften und Geburten betrifft, nur unzureichend medizinisch versorgt. Auch in Sachen der Ernährung werden sie benachteiligt - und Genitalverstümmelungen und frühzeitige Verheiratung sind nach wie vor gängige Praktiken.

Mikrokreditsysteme gelten seit Jahren schon als viel versprechende Wege zur Stärkung von Frauen, insbesondere in ökonomisch schwachen Gegenden. Horizont 3000, eine österreichische Organisation für Entwicklungszusammenarbeit, initiierte deshalb ein entsprechendes Projekt, um in der Region Minia in Ägypten benachteiligte Frauen zu fördern. In 13 Dörfern und zwei Gemeinschaften wurden zunächst verschiedene Bildungsmaßnahmen durchgeführt, um die Stellung von Frauen zu stärken und die vielfältige Diskriminierung gegen sie einzudämmen.

Voraussetzung für Mikrokredite

Die Vergabe von Mikrokrediten (in der Höhe von durchschnittlich rund 100 Euro) wurde an bestimmte Voraussetzungen gekoppelt: Die Frauen mussten zunächst an verschiedenen Bildungsaktivitäten teilnehmen. So gelang es diesem Projekt, rund 4500 Frauen und Mädchen zu informieren und auszubilden. An 1500 dieser Frauen wurden in der Folge Kleinkredite vergeben, die meist in die Gründung von Kleingewerbe investiert wurden.

Das Projekt "Frauenförderung in der Region Minia" wurde nach dreijähriger Laufzeit im Juli 2005 einer breiten Evaluation (u.a. durch die Autorin, Anm. der Red.) unterzogen. Im Zuge dieser Bewertung zeigte sich, dass es insbesondere die Mikrokredite waren, die aus der Sicht der Familienmitglieder einen Anreiz darstellten, den Frauen und Mädchen die Teilnahme an den vorgeschlagenen Aktivitäten zu erlauben - und damit kulturelle Regeln zu verändern. Sehr wichtig war die Koppelung der Schulungen an den Mikrokredit. Die Aussicht auf die Zuverdienstmöglichkeiten machte es möglich, diese Frauen im Vorfeld etwa über ihre Rechte und über Hygiene- und Gesundheitsaspekte zu informieren und ihnen Wissen über Gleichbehandlung von Töchtern und über die schweren medizinischen und sozialen Folgen von Genitalverstümmelungen zu vermitteln.

Autonome Lebensgestaltung

Die ausführlichen Interviews ergaben: Frauen, die einen Mikrokredit in Anspruch nahmen, spürten positive Auswirkungen dieser Maßnahme. Ihr Status innerhalb der Familie veränderte sich. Sie wurden in den meisten Fällen von den anderen (männlichen) Familienmitgliedern stärker als eigenständige Personen wahrgenommen - und respektiert. Erstmals konnten bei wichtigen, sie betreffenden Dingen mitreden und mitbestimmen, z.B. bei der Wahl ihres Ehemannes, oder sie schafften es, Genitalverstümmelungen bei ihren Töchtern oder anderen weiblichen Familienmitgliedern zu verhindern. Besonders erstaunlich ist eine weitere Tatsache: Durch den finanziellen Verdienst der Frauen waren manche Männer - zumindest in einem kleinen Ausmaß - bereit, auch ihr Rollenverhalten zu ändern. Männer (aber in vielen Fällen auch andere Familienmitglieder) waren in einem größeren Ausmaß als früher bereit, den Frauen zu helfen und sie bei der Hausarbeit zu entlasten, indem sie ihnen etwa die Kinderbetreuung abnahmen.

Für eine spezielle Frauengruppe hatte die Vergabe von Mikrokrediten sogar eine existenzielle Bedeutung: Die Töchter oder Frauen von Männern, die zu Gefängnisstrafen verurteilt waren, werden in Ägypten meist sozial geächtet. Sie sind somit ganz auf sich selbst gestellt und müssen für sich und nicht selten auch für ihre gesamte Familie finanziell aufkommen. Das treibt sie in eine Lohnabhängigkeit, in der sie als Frauen neuen Ausbeutungs- und Gewaltverhältnissen ausgesetzt sind. In diesen harten Fällen bedeuten Mikrokredite einen Ausweg, eine Möglichkeit, ihr Leben autonomer zu gestalten. In Zukunft sollen weitere Unterstützungsprojekte insbesondere für solche Frauen realisiert werden.

Die Untersuchungen in der Region von Minia haben folgende Ergebnisse gebracht: Mikrokredite können - auf individueller Basis - tatsächlich Verbesserungen bringen. Sie führen aber nicht notwendigerweise, wie die Evaluierung gezeigt hat, auch zu nachhaltigen strukturellen Veränderungen, die eigentlich notwendig wären, um die Lage der erwähnten Frauengruppen zu verbessern. Die Stärkung von Frauen stößt also noch immer sehr schnell auf ihre kulturell bedingten Grenzen. Diese aufzubrechen bedarf zusätzlicher Aktivitäten: Mikrokredite sind hier aber sicher ein erster, wichtiger Schritt. (DER STANDARD, Album, 3./4.12.2005)