Die venezolanische Opposition hat völlig überraschend angekündigt, nicht an den Parlamentswahlen am Sonntag teilzunehmen. Laut aktuellen Umfragen kann die Koalition, die den Reformkurs Präsident Chavez unterstützt, mit einer Zweidrittelmehrheit rechen. Die vier Parteien Acción Democrática, Copei, Proyecto Venezuela und Primero Justicia verzichten unter diesen Vorraussetzungen auf eine Teilnahme.

Bild: Angus-Reid-Umfrage vom Oktober 2005

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Anlass des überraschenden Rückzugs: Der Nationale Wahlrat wird verdächtigt, Aufzeichnungen über das Abstimmungsverhalten jedes Wahlberechtigten führen zu wollen. Ein Computersystem, das die Fingerabdrücke der WählerInnen auswertet, könnte dazu missbraucht werden, befürchtet die Opposition.

Die Wahlbehörde willigte am vergangenen Wochenende ein, das umstrittene System der automatischen Identifizierung durch Fingerabdrücke nicht anzuwenden.

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Doch auch der Verzicht auf die umstrittenen Fingerabdruck-Maschinen stellte die Kritiker nicht zufrieden.

Das nach US-Muster vollautomatisierte Wahlsystem öffne Tür und Tor für Manipulation, ein sauberer Wahlgang sei unter den gegebenen Umständen unmöglich, so die Opposition.

Bild: Oppositionsanhänger rufen zum Wahlboykott auf.

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Am Dienstag zog die Accion Democratica (AD), die derzeit 33 Abgeordnete in der Nationalversammlung stellt, ihre Kandidaten zurück. Der Generalsekretär der AD, Henry Ramos Allup (Mitte), erklärte den Schritt damit, dass der Nationale Wahlrat Kandidaten der Regierung begünstige und ordnete an, die gesamte Parteistruktur zu mobilisieren, um einen Boykott in die Wege zu leiten.

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Am Mittwoch gab dann auch das Bündnis "Primero Justicia" (Zuerst Gerechtigkeit) seinen Rückzug bekannt. Noch am Montag hatte PJ-Fraktionsführer Gerardo Blyde garantiert, seine Partei werde an den Wahlen teilnehmen.

Die von den USA und der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützte Liste, die sich gern als "Alternative zu Chavez" präsentiert, hatte laut Befragungen beste Chancen, mit ca. 15 Prozent die stärkste Oppositionskraft zu werden. Derzeit hat die Partei fünf der 165 Sitze im Parlament.

Das Bild zeigt einen "Primero Justicia"-Aufmarsch im November 2002.

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Weiters traten die Fraktion Proyecto Venezuela (Projekt Venezuela/bisher sieben Mandate) und die Christdemokraten (Copei/bisher sechs Sitze) von der Wahl zurück.

AD und Copei hatten die Geschicke Venezuelas lange bestimmt, ehe Anfang 1999 der Präsident Chavez und sein Parteienbündnis "Movimiento Quinta Republica (MVR)" (Bewegung Fünfte Republik) an die Macht kam.

Bild: Die Kandidaten Luis Alfaro Ucero (AD) und Irene Saez (Copei) vor der Präsidentenwahl im Dezember 1998.

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Manuel Rosales, Gouverneur der Provinz Zulia, forderte am Donnerstag, die für Sonntag geplanten Wahlen zu verschieben. Eine Wahl, an der die Bürger nicht "frei, fröhlich und spontan" teilnähmen, könne "niemand gewinnen", begründete er seine Forderung, eine eigens zu schaffende Kommission solle zuerst feststellen, ob demokratische Wahlen gewährleistet seien.

Die Forderung wird von mehreren Oppositionsparteien unterstützt.

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Delegationen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und der EU, die im Vorfeld der Wahl nach Venezuela reisten, bezeichneten die Zusammenarbeit mit der Wahlbehörde bisher als gut und entschieden, Beobachter zu den Wahlen zu entsenden.

Die Opposition übte erfolglos Druck auf die Organisationen aus, den Urnengang nicht durch Wahlbeobachter zu legitimieren.

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Die Zeitung "El Mundo" nannte als eigentlichen Grund für den Rückzug der Opposition, dass diese bei der Parlamentswahl auf nicht mehr als 25 der insgesamt 167 (bisher 165) Sitze kommen werde. Derzeit verfügt die Opposition über 79 Mandate.

Wieviele WählerInnen am Sonntag wirklich ihre Stimme abgeben werden, wird mit Spannung erwartet: Die Financial Times rechnet mit extrem niedriger Beteiligung, das Chavez-Lager versucht, alle Reserven zu mobilisieren (Bild: Kundgebung in Caracas am Donnerstag).

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In den Online-Ausgaben der großteils der Opposition nahestehenden venezolanischen Tageszeitungen waren am Freitag keine Meinungsumfragen zur Parlamentswahl am Sonntag zu finden.

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Dafür konnte man darüber abstimmen, ob der Wahlboykott der Oppositionsparteien gefechtfertigt sei.

Sowohl bei "El Nacional" (Bild) als auch bei "El Universal" unterstützt eine große Mehrheit der User den Wahlboykott. Ob diese Umfragen repräsentativ sind, wird sich am Sonntag zeigen. (bed)

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