Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war heute. Da saßen wir im Kaffeehaus und rätselten. Über die katholische Kirche. Und ausnahmsweise hatte das nichts mit ihren Moral- und sonstigen Vorstellungen zu tun, sondern mit einer Heiligsprechung. Aber vielleicht, das gebe ich unumwunden zu, lag unsere Verwunderung ja auch nur an unserem Unwissen in Sachen Kirchenrecht.

(Einschub: Wir waren zu sechst. Vier waren einmal katholisch gewesen. Zwei davon sind es immer noch. Drei von uns hatten – zwei katholisch – in Religion maturiert. Weil das konfessionsübergreifend eine ziemlich billige, da absolut vorhersehbare, Angelegenheit war. Aber das ist eine andere Geschichte. In unserer Ahnungslosigkeit waren wir aber alle auf dem selben Level.)

Ex-Papst

B. hatte nämlich eine Kurzmeldung aus dem Auslandschronikteil des Standard vor uns gelegt. Johannes Paul, also der verstorbene Papst („darf man eigentlich Ex-Papst sagen“, fragte einer, aber die Frage blieb offen), solle bald selig gesprochen werden. Wegen eines (das ist Bedingung für das Heiligwerden) Wunders. Was genau dieses Wunder aber sei, stand in der Agenturmeldung, werde (noch?) nicht verraten. Es habe sich aber in Frankreich ereignet und sei „zweifellos“ auf den Papst zurück zu führen. Wir waren uns nicht einig, ob wir das lustig fänden oder ob wir nicht ein bisserl neidig auf all jene sind, die so bedingungslos glauben können, dass ihnen das nicht spanisch vorkommt.

Egal. Das Verfahren, lasen wir , schreite rasch voran. Und dann fragte K., was alle dachten: „Ist der Papst nicht per se heilig?“ Schließlich überschlagen sich ja nicht nur im titeltechnisch traditionell zur maßlosen Übertreibung neigenden Österreich auch ausländische und ansonsten nüchterne Kommentatoren angesichts des römischen Pontifex Maximus vor Begeisterung, wenn sie das Vokabel „heiliger Vater“ in den Mund nehmen dürfen.

Dopplereffekt

Wir rätselten. Vielleicht, meinte K., könne man ja auch doppelt heilig werden. Sie stelle sich das ungefähr so wie einen doppelten akademischen Titel vor: Erst selig, dann heilig, dann seligheilig (oder heiligselig), dann doppelheilig. So weit, Karol W., analog zur Verdopplung des Vornamens statt des Titels bei Günther N. „Johannes Johannes P. II“ zu nennen, wolle sie aber nicht gehen – viel interessanter wäre die Frage, ob ein mehrfachheiliger in seiner bild- oder statuenhaften Darstellung das Recht auf mehrere Heiligenscheine habe.

Natürlich blödelten wir uns dann durch ein ganzes Universum klerikal-uniformer Rangabzeichenoptionen. Bis B. ein schrecklicher Gedanke streifte: Wenn der Heilige Vater tatsächlich sei, als was er tituliert wird, dann könne der Seligsprechungsprozess ja auch so etwas wie ein internes Dienstaufsichtsverfahren sein. An dessen Ende das Downgrading des Betroffenen stehen könnte. Vom Heiligen zum Seligen. Und dass man in diesem Falle – quasi aus Datenschutzgründen – Grund, Hintergründe und Anlass verschwiege, wäre doch einleuchtend.

Adventfrage

Aber eines war klar: Wir standen mit unserem Wissen an. Aber dass uns das gerade in der Adventzeit“) passieren musste, stimmte die einst (und den immer noch) katholischen Menschen am Tisch ein wenig nostalgisch. In ihrer Schulzeit hatten sie nämlich jedes Jahr eine ähnlich wichtige und ebenso unlösbare Frage gestellt bekommen – und waren dafür auch noch benotet worden: „Wie heißen die vier Sonntage des Advents, welche Farben haben die Kerzen des Kranzes zu haben und in welcher Reihe sind sie (und warum?) anzuzünden?“