Politik lässt sich manchmal einfach nicht planen. Schon in den ersten Tagen ihrer neuen Kanzlerschaft ist Angela Merkel durch die Entführung einer Deutschen im Irak auf eine Bewährungsprobe gestellt, bei der es um Leben und Tod geht. Jahrelang lebten viele Deutsche im Glauben und der Hoffnung, der Terror könne ihr Land nicht erreichen. Schließlich hat Gerhard Schröder die Deutschen aus dem Irakkrieg herausgehalten, was ihm sehr viele Sympathien gebracht hat und für viele Menschen eines der bleibenden Verdienste seiner Kanzlerschaft ist.

Doch Deutschland ist keine Insel der Seligen, und nun muss Merkel zusehen, wie die Geisel und auch sie selbst diese Entführung und Erpressung unbeschadet überstehen - und in dieser zermürbenden Situation gleichzeitig mit Volldampf die innenpolitische Arbeit angehen. Sechs Monate lang ist Deutschland praktisch ja nicht regiert worden. Von jener schicksalhaften Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai bis jetzt herrschte wegen der vorgezogenen Wahlen und der anschließenden Koalitionsbildung Stillstand in Berlin.

Ihre ersten Hausaufgaben hat Merkel erledigt: Sie reiste zum Antrittsbesuch nach Paris, Brüssel und London und war auch zu Hause nicht untätig: Diese Woche hat das schwarz-rote Kabinett die ersten Kürzungen von Subventionen (Eigenheimzulage) auf den Weg gebracht. "Kleine Schritte" wolle sie mit ihrer Regierung machen, sagt die Bundeskanzlerin, weil sie weiß, dass auch ihre große Koalition kein schnelles Wundermittel zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme Deutschlands hat. Das ist überraschend ehrlich - entspricht aber auch der Realität.

Solide eine Reparatur nach der anderen durchzuführen bringt mehr, als monatelang eine große schwarz-rote Vision zu kreieren und sich darauf zu verlassen, dass der befreiende wirtschaftliche Aufschwung schon irgendwann kommen wird. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.12.2005)