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Neue Regeln für die Priesterweihe: Wer "eine so genannte homosexuelle Kultur unterstützt", dem soll der päpstliche Segen künftig verwehrt bleiben.

Fotos: AP/epa, Montage: Beigelbeck
Am 13. Dezember 2002 trat der Erzbischof von Boston, Kardinal Bernard Law, von seinem Amt zurück, weil er jahrelang toleriert und vertuscht hatte, dass mehrere Dutzend Priester seiner Diözese Kinder und Jugendliche vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell missbraucht hatten. Laws vorrangige Strategie hatte darin bestanden, die geistlichen Kinderschänder wie Schachfiguren von einer Pfarrgemeinde in die nächste zu versetzen.

Kardinal Law und die Erzdiözese Boston wurden zum Paradebeispiel dafür, wie skandalös und unmoralisch sich zahlreiche Verantwortliche der katholischen Kirche jahrzehntelang in dieser Sache verhalten hatten, nicht nur in Boston und den USA, sondern auch in Europa, Australien und in anderen Teilen der katholischen Welt. Die katholischen Bischöfe der USA reagierten spät auf den Skandal, aber sie reagierten schließlich doch.

In der US-Kirche herrscht heute eine Politik der "zero tolerance", was bedeutet, dass ein Geistlicher aus dem kirchlichen Dienst entlassen wird, wenn er auch nur einen einzigen Fall des sexuellen Missbrauchs an einem Kind oder Jugendlichen gesteht oder ihm ein solcher in einem Gerichtsprozess nachgewiesen wird.

In einem Bericht der National Review Board for the Protection of Children and Young People ist zu lesen: "Kirchliche Aufzeichnungen zeigen, dass zwischen 1950 und 2002 eine Zahl von 4392 Priester wegen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen angezeigt wurden. Dies sind vier Prozent aller Priester, die in dieser Zeit ihren Dienst ausgeübt haben. Einundachtzig Prozent der Opfer waren männlich."

Die Tatsache, dass es sich bei der überwältigenden Mehrheit der minderjährigen Opfer um männliche Kinder und Jugendliche handelt, lässt aufhorchen. Sie hat den Missbrauchsskandal verständlicher-, aber auch unglücklicherweise von Anfang an mit dem Thema Homosexualität in Verbindung gebracht, vor allem auch mit der Frage, wie hoch der Anteil der Homosexuellen an der katholischen Priesterschaft und am Priesternachwuchs ist.

Diesbezügliche Schätzungen schwanken zwischen zehn Prozent (Weihbischof Jerome Listecki) und 50 Prozent (der katholische Priester und Psychologe Donald Cozzens).

Kein Wort über Kindesmissbrauch

Die am 29. November offiziell veröffentlichte vatikanische Instruktion Über Kriterien zur Berufsklärung von Personen mit homosexuellen Tendenzen im Hinblick auf ihre Zulassung für das Priesterseminar und zu den heiligen Weihen ist offenbar vor dem Hintergrund dieser Gemengelage von sexuellem Missbrauch und klerikaler Homosexualität geschrieben worden. Die Instruktion macht jedenfalls deutlich, dass sie eine Frage klären will, "die durch die gegenwärtige Situation dringlicher geworden ist".

Die vatikanische Instruktion stellt klar, dass jene nicht zu Priester geweiht werden dürfen, "die Homosexualität praktizieren, tief sitzende homosexuelle Tendenzen haben oder eine so genannte homosexuelle Kultur unterstützen".

Ranghohe katholische Kleriker wie Bischof William Skylstad, der Vorsitzende der US-amerikanischen Bischofskonferenz, und der frühere Ordensmeister der Dominikaner, Timothy Radcliffe, haben allerdings inzwischen darauf hingewiesen, dass homosexuell orientierte (und enthaltsam lebende) katholische Priester ihr Amt häufig in hervorragender, vorbildlicher Weise ausüben.

Radcliffe meint sogar, dass tief verwurzelte Vorurteile wie Homophobie und Frauenverachtung jemanden von der Priesterweihe ausschließen sollten, nicht aber seine sexuelle Orientierung.

An keiner Stelle wird in dem vatikanischen Dokument explizit über den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen gesprochen. Dies überrascht angesichts der Tatsache, dass die katholische Kirche jahrzehntelang eine ansehnliche Zahl von Männern zur Priesterweihe zugelassen hat, die sich sexuell vorrangig zu Kindern (Pädophilie) oder pubertierenden Jugendlichen (Ephebophilie) hingezogen fühlten.

Nicht wenige davon haben, wie wir heute wissen, diese sexuelle Orientierung rücksichtslos ausgelebt. Das Verschweigen dieses Faktums ist gerade auch deshalb bedauerlich, weil innerhalb und außerhalb der Kirche häufig nicht zwischen Homosexualität und Pädophilie/Ephebophilie unterschieden wird.

Dies ist aber ungerechtfertigt, denn Schwule sind nicht häufiger pädophil veranlagt als heterosexuelle Männer. In einem bemerkenswerten Dokument der katholischen Bischöfe von Washington State ist zu lesen: "Zahlreiche Katholiken sind besorgt über die Rolle von Homosexuellen in erzieherischen Berufen. Sie meinen, Schwule und Lesben würden den Kindern unweigerlich ein homosexuelles Wertesystem vermitteln oder sie sexuell belästigen. Dies ist ein Vorurteil und muss als solches entlarvt werden."

Es wäre schön gewesen, hätte auch das genannte vatikanische Dokument zu dieser Entlarvung beigetragen. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.12.2005)