Von Wolfgang Schüssel wird man nicht (wie von Gerhard Schröder) hören, Wladimir Putin sei ein "lupenreiner Demokrat". Der österreichische Kanzler, der diese Woche auch in Vorbereitung unseres EU-Vorsitzes den russischen Präsidenten besucht, wird sich nicht so einer solch eklatanten Fehlaussage hinreißen lassen. Er wird aber wohl auch keine scharfe Verurteilung der massiv autoritären Linie Putins äußern. Er wird im Dialog mit Putin vielleicht auch das eine oder andere Menschenrechtsproblem ansprechen und ihn im übrigen zum gemeinsamen Skifahren in Österreich einladen. Weder Österreich, noch die EU sind im Moment bereit, Russland ernstlich wegen seines Besorgnis erregenden Kurses in Richtung auf eine Sowjetunion mit marktwirtschaftlichen Attributen zu konfrontieren.

Aber was wird Schüssel nächste Woche in Washington zu George W. Bush sagen? Auch dort fährt er in Vorbereitung der EU-Präsidentschaft hin. Wird Schüssel die Entwicklung der USA unter Bush ansprechen? In der Präsidentschaft dieses Mannes und seiner Crew wurden Menschenrechtsverstöße im "Krieg gegen den Terror" zur Norm; die europäischen Verbündeten werden düpiert durch Verbringung von Gefangenen über und möglicherweise auch auf EU-Territorium in Geheimgefängnisse zum Zweck des "verschärften Verhörs". Diese nur Millimeter unterhalb massiver Folter angesiedelten Verhörmethoden sollen sogar amerikanisches Recht werden, wenn es nach Vize-Präsident Cheney geht.

Der Punkt ist, dass sich die USA unter der Bush- Mannschaft qualitativ massiv verändert haben. Diese Gruppe setzt Irreführung, Manipulation und Unehrlichkeit systematisch und bewusst als Mittel der Politik ein, im Inneren wie in der Welt. Jeden Tag kommen neue Hinweise ans Licht, dass nicht schlechte Arbeit des CIA die Ursache für das Verdunsten der die Kriegsgründe im Irak (Massenvernichtungswaffen, Zusammenarbeit mit Al-Kaida) war, sondern dass es sich um absichtliche Lügen, bzw. bewusstes Ignorieren von gegenteiliger Information handelt. Sie führten die Amerikaner mit Falschinformationen in den Krieg. Das ist der Unterschied zwischen Bush und den allermeisten seiner Vorgänger (Bill Clinton sagte: "Ich hatte keinen Sex mit dieser Frau, Monica Le- winsky." George W. Bush sagt: "Wir foltern nicht"). Das ist auch ein Teil der Antwort an Leser wie Herbert J., der einen Sinneswandel in dieser Kolumne festzustellen meint: die USA sind mit Bush eben auf einem qualitativ anderen, verheerenden Kurs (wobei es ein nachweisbarer, aber offenbar nicht auszurottender Irrtum einiger Leser ist, hier wäre zu irgend einem Zeitpunkt der Irakkrieg verteidigt worden).

Dazu gehört die Aufhebung des Rechtsstaates für Terrorverdächtige und die Errichtung von Lagern in Guantánamo und, möglicherweise in Europa, möglicherweise auf dem Gebiet von EU-Mitgliedsstaaten, bzw. Beitrittsanwärtern. Das geht an die Substanz der atlantischen Partnerschaft.

Schüssel wird das Thema in Washington ansprechen (müssen). Der Unterschied zu Moskau besteht darin, dass man von dort so etwas eher gewohnt war, von den USA aber nicht. Der Pragmatiker Schüssel weiß selbst, dass schon der Verdacht von geheimen CIA- Gefängnissen in Europa Gift für das Verhältnis von Europa und den USA ist; es ist auch nicht notwendig, einen moralisierenden Tonfall zu verwenden, die faktischen Auswirkungen sind schlimm genug. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.11.2005)