Altersforscher ergründen immer mehr Mechanismen, die die Lebensspanne des Homo sapiens bestimmen. Diese von außen zu manipulieren könnte dem Menschen dereinst ein paar Jahre mehr Zeit verschaffen. Bei gleichzeitiger Bewahrung der Gesundheit.

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Warum gibt es neben der Vielfalt von Arten auch eine Vielfalt von Lebensspannen? Warum werden Fadenwürmer lediglich 19 Tage, Labormäuse nur drei Jahre alt, während Schildkröten, die Methusalems, locker die hundert durchleben und immer noch Jahrzehnte vor sich haben? Und warum, verdammt, ist beim Homo sapiens schon meist nach 80 Jahren Schluss?

Nichts hat der Mensch, seit er mit Bewusstsein belohnt, dafür mit Wissen um seine Sterblichkeit bestraft wurde, so hartnäckig und erfolglos bekämpft wie seine Vergänglichkeit. Wurde dieser Kampf in der Vergangenheit mit metaphysischen Waffen ausgetragen, mit Glauben an Reinkarnation oder Auferstehung, führt der aufgeklärte Mensch die Revolte gegen seine eigene Natur mit der heute modernsten Waffe fort: der Biowissenschaft. Die Lebenserwartung, konstatiert US-Genetiker Michael Rose, "ist durch nichts begrenzt als die menschliche Technologie". Wer's glaubt.

Das simpelste Wundermittel für ein längeres Leben heißt Hungern. Tierexperimente zeigen, dass permanente Mangeldiät den Tod hinauszögert, weil Stoffwechselraten und damit oxidativer Stress abnehmen. Bei Affen funktioniert es, wahrscheinlich auch bei Menschen. Die Sache hat jedoch zwei kleine Haken: Mangelernährung macht unfruchtbar, und überhaupt - wer will schon 100 werden, wenn er dazu 100 Jahre hungern muss?

Das sahen auch Genetiker ein und besannen sich darauf, dass das Altern ein primär von Proteinen, von Nährstoffen in den Zellen regulierter Prozess ist - was Klonschaf Dolly trefflich vor Augen führte. Wenn man nun die Altersgene samt ihren Proteinen und deren Funktion gefunden hätte, könnte man den Alterungsprozess vielleicht beeinflussen, dachten sich die Forscher. Tatsächlich wurde hier einiges entdeckt, erklärt Österreichs Pionierin der Altersforschung, Beatrix Grubeck-Loebenstein, Direktorin des vom Regionalentwickler Prisma verwalteten Innsbrucker Instituts für Biomedizinische Altersforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Nach Entfernung des Gens Daf-2 lebten Fadenwürmer doppelt so lang - seitdem trägt dieses Erbgutschnipsel den anerkennenden Namen "Sensenmann-Gen". Daf-2 ist ein Verwandter von IGF-1R, dessen Eliminierung die Lebensspanne von Labormäusen um ein Viertel verlängerte. Und beide tierischen Gene sind adäquat dem menschlichen IgF, einem Insulinrezeptor. Allen diesen Genen ist eines gemein: Über sie wirken jene Hormone, die für Ernährung und Stoffwechsel wichtig sind.

Weitere Forschungen haben noch mehr Gene identifiziert, die alle in der Insulin-Signal-Kette - einem Schlüssel für Nahrungsumsatz - zentrale Bedeutungen haben. Die drei wichtigsten: Daf-16, Sir-2 und Sirt-1. Nun weiß man inzwischen, dass ein hochgradig aktiviertes Sirt-1 auf den Organismus dieselbe Wirkung hat wie die Abwesenheit von Insulin im Blutkreislauf: Wird Sirt-1 stimuliert, glaubt der Körper, dass er fastet, selbst wenn er isst. Also suchen Wissenschafter krampfhaft nach Substanzen, die dieses Gen aktivieren. Das könnte das Leben verlängern. Allein: Dadurch käme es auch zu mehr Alterskrankheiten von Alzheimer bis Krebs. Und es spottete schon der britische Schriftsteller Jonathan Swift: "Jeder will lange leben, bloß alt werden will keiner." Aber vielleicht gibt es einen Ausweg.

Konzentriert man sich nicht auf ein Gen, sondern versucht man die gesamte Insulin-Signal-Kette zu stören, hofft Grubeck-Loebenstein, führe dies nicht nur zu einem längeren, sondern auch zu einem gesünderen Leben, wie Experimente an Würmern und Mäusen gezeigt hätten. Wie man das jedoch beim Menschen bewerkstelligen soll, weiß die Altersforscherin nicht. In ihrem Buch "Das Ende des Alterns" (Econ-Verlag) beschreiben der Gynäkologe und Hormonspezialist Johannes Huber und profil-Wissenschaftsredakteur Robert Buchacher neben dem Hungern und vielen anderen eine weitere, sehr simple, aber effiziente lebensverlängernde Maßnahme: Frieren.

Computersimulationen hätten ergeben, dass die Absenkung der Körpertemperatur (Hypothermie) von 37 auf 24 Grad Celsius die Lebensdauer des Menschen auf bis zu 280 Jahre erhöhen könne. Warum? Je geringer die Temperatur, desto geringer Stoffwechselraten und oxidativer Stress. Für die Praxis: Senkt man etwa durch geringere Nahrungsaufnahme den Glukosespiegel im Blut, tritt leichte Kühlung ein.

Von Hormonbehandlungen zur Lebensverlängerung, die die Autoren beschreiben, hält Grubeck-Loebenstein jedoch nicht viel: Chance auf längeres Leben sei zu gering, Risiko von Nebenwirkungen zu groß. Was also bleibt? Hungern und Frieren, bis die Wissenschaft dereinst so weit ist. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 11. 2005)