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Mobiltelefone sind stumm. Zwar helfen sie uns beim Sprechen, selbst reden aber können sie nicht. Leere Hüllen sind sie nur, in denen wir vielleicht die Porträts unserer Liebsten aufbewahren; Hüllen, die aber selbst kein Gesicht haben, nur eine Benutzeroberfläche. Noch nicht einmal einen Namen tragen sie, sondern nur eine Typbezeichnung. Motorola V 70, Siemens A 70, Samsung SGH-D500, Fließbandgeschöpfe ohne Geist, Technik - Werkzeuge, sonst nichts.

Nun versuchen die Handyhersteller, ihre Geräte zum Sprechen zu bringen - dafür reden sie zuerst einmal selbst ganz viel: "Die Zeiten, in denen die Kunden nur billiges Plastik wollten, sind längst vorbei", sagt die Trendforscherin Christine Woesler de Panafieu, die gleich mehrere Mobiltelefonfirmen berät. "Cooles Design und edles Material" verspricht ein Motorola-Manager.

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Und Nokia bringt im neuen Jahr die "L'Amour-Kollektion" auf den Markt. Jeder Quadratzentimeter der drei neuen Handys scheint zu schreien: "Seht her, wie wertvoll ich bin, wie originell und wie einzigartig." In Samttaschen schlummern die Geräte wie eine elfenhafte Frau im Himmelbett.

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Dank des eingearbeiteten Leders fühlt sich ihre Rückseite geschmeidig an; weich und willig schmiegen sie sich in die Hand ihres Besitzers. Und wie eine kostbare Kette hängt von der Handyschulter eine Kordel herab. Normalerweise kaufen sich Frauen in irgendeinem Ramschladen so ein Bandl, um ihrem Telefon eine individuelle Note zu verleihen - jetzt liefert Nokia diesen Persönlichkeitsplacebo gleich mit, fabriksfertig, vom Band, ohne Aufpreis.

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"Wir wollen, dass Leute auf ihren Teil der ,L'Amour-Kollektion' stolz sind", erklärt Tanja Fischer, Designerin bei Nokia. "Sie sollen eine emotionale Beziehung zu ihm entwickeln. Sie sollen sich besonders fühlen, wenn sie ein solches Gerät haben." Tanja Fischer ist also nicht nur eine Managerin, sondern auch eine Magierin. Aus dem Nokia 7380 macht sie allein mit ihren Worten einen Zauberstab, der dann wiederum jeden seiner Besitzer in eine vollkommene Persönlichkeit verwandeln soll, deren Gesicht hell erstrahlt, heller als alle anderen, im blauen Licht des Displays.

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Dass der Mensch sich durch exklusiven Besitz von Konsumgütern von anderen Menschen unterscheidet, sich seiner eigenen Persönlichkeit versichern will, das hat Karl Marx schon in seinen "Pariser Manuskripten" von 1844 geschrieben. Bei Jeans von Helmut Lang funktioniert das, auch bei einem Auto von Mercedes, einer Uhr von Rolex - bei Mobiltelefonen allerdings nicht. Wer sich für viel Geld ein brandneues Handy kauft, kann sich vielleicht zwei Monate im Glanz des neuen Aluminiums sonnen, dann sinkt der Preis des Geräts so rasch, bis es nahezu jeder hat. Zehn Monate später wird sich der ehemals stolze Besitzer für sein Gerät wie für einen nicht stubenreinen Hund schämen, denn das Telefon kann nunmehr viel weniger als alle anderen.

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Und spätestens von da an wird er nur noch die Tage zählen, bis er endlich, endlich wieder ein neues bekommt. Die technische Revolution wälzt jede kulturelle Distinktion nieder. Wie Soldaten in Reih und Glied hängen die Handys im Laden, alle einander ähnlich, uniformiert, klein, unbedeutend; viel wichtiger sind die großen Tafeln, auf denen dicke Buchstaben ihre technischen Leistungen verkünden: Megabyte und Megapixel, GPRS und UMTS, hier folgt nicht die Form der Funktion, hier gibt es nur Funktion.

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Wohl um diesen Effekt zu vermeiden, hat Siemens vor zwei Jahren seine damals völlig neue Fashion-Linie "Xelibri" nicht im Handyshop verkauft, sondern in Modeläden – Siemens verlor ein paar Dutzend Millionen und musste seine Mobilsparte an BenQ verkaufen. Ziemlich merkwürdig sahen die Telefone übrigens aus, wie Taschenuhren, irgendwie entsprach das nicht dem Zeitgeist.

Nachlese

Schönheit ist nicht alles – Vom Puderdosen-Handy bis zum Modell "Klammer" – Die Style-Handys von Xelibri im Webstandard-Test – eine Ansichtssache

Diesem zu folgen hat sich Nokia fest vorgenommen. Sorgfältig haben sie seit zwei Jahren den Markt beobachtet, haben gesehen, wie Marc Jacobs die gute alte Häkelarbeit entdeckte, wie die warmen Farben zurückkehrten, einmal wieder, "wie der Minimalismus der Neunziger vom Maximalismus abgelöst wurde", wie Liisa Pualakka sagt, die als Modeanalystin für die Kollektion gearbeitet hat.

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Ziemlich maximal sind die Handys dann auch geraten, Holz und Leder, orange und braun, Blumen und Schnörkel - als habe man versucht, einen besonders dicken Trendbericht auf 88,5 mal 43,4 mal 22,6 Millimetern zusammenzuquetschen.

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Vielleicht haben sich die Designer bei Nokia so angestrengt, weil sie Angst vor einem neuen Konkurrenten haben: Apple hat in diesem Jahr zusammen mit Motorola ein Mobiltelefon entwickelt. Es ist weder technisch besonders innovativ noch ästhetisch besonders gelungen, aber Analysten glauben, dass dies ohnehin nur ein erster Schritt ins Business war. In den kommenden 18 Monaten könnte die Firma dann ein eigenes Handy auf den Markt bringen - und mit dem iPod hat sie ja schon einmal gezeigt, wie man mit viel Erfolg Technik und Design versöhnen kann. Nokia, Samsung und BenQ sind also gewarnt.

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Beim Versuch, das Mobiltelefon zum Sprechen zu bringen, vergessen sie nun auch nicht das kleinste Detail: Angeblich beschäftigen alle Handyfirmen Techniker, die nichts anderes machen, als den richtigen Druckpunkt der Tasten zu definieren, den perfekten Klick.

(Der Standard Printausgabe, Rondo, 25.11.2005, Jakob Schrenk)

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