Zürich/Wien - Die internationale Gemeinschaft sollte der bevorstehenden Parlamentswahl in Tschetschenien eine Chance geben. Das sagte der Tschetschenien-Berichterstatter des Europarats, Andi Gross, im Gespräch mit der APA. Der Schweizer Parlamentarier wird selbst zu den Wahlen nach Grosny reisen, um einen Eindruck zu bekommen. Dies sei aber keine offizielle Wahlbeobachtung, betonte Gross.

Der Europarat hat die drei jüngsten Wahlen in Tschetschenien, also das Verfassungsreferendum und zwei Präsidentenwahlen, nicht anerkannt. "Es war zu offensichtlich, dass manipuliert wurde." Die Menschen seien zu den Urnen gekarrt worden und verängstigt gewesen, erklärte Gross. Und dennoch erwartet der Experte am 27. November nicht grundsätzlich eine Farce. "Man darf mit dieser Einstellung nicht in die Wahl gehen", sagte er. Es gebe diesmal durchaus "interessante Kandidaten", die Nichtregierungsorganisationen verträten und eine Brücke zwischen den verfeindeten Gesellschaftsteilen bildeten.

Vertrauensaufbau und Vermittlung

Zur Lösung des Konflikts sei Vertrauensaufbau und Vermittlung zwischen den Menschen besonders wichtig. Doch "Moskau hat keine richtige Strategie für Tschetschenien." Die russische Regierung befasse sich zu wenig mit der Unruheregion. Zu viel werde an manchmal zweifelhafte Beamte delegiert. Deswegen will Gross auch mit Präsident Wladimir Putin selbst sprechen. Als "die große Schwäche der russischen Politik" bezeichnete der Experte, dass sie sich auf die falschen Menschen "verlasse". Gemeint ist etwa Ramsan Kadyrow, der Sohn des getöteten Präsidenten. "Kadyrow jun. ist ein berüchtigter Führer einer Privatarmee."

Zirka 80 Prozent der Bevölkerung Tschetscheniens hätten genug von der Gewalt und dem Terror, sagte Gross. Tschetschenien brauche eine "echte und dynamische Autonomie" im Rahmen der Russischen Föderation. Tschetschenien soll nach Ansicht von Gross bis auf die Landesverteidigung und die Währung autonom sein. Eine Perspektive zur Unabhängigkeit solle aber bestehen. Als Vorbild nannte der Europarat-Berichterstatter die zu Finnland gehörenden Aland-Inseln oder Südtirol. "Je mehr Versöhnung und Eigenständigkeit, desto mehr Stabilität." (APA)