Israels Ministerpräsidenten blieb gar keine andere Wahl, als den Likud zu verlassen, sagt der Politologe Shlomo Aronson im STANDARD-Interview Gespräch mit Gudrun Harrer. Seiner Meinung nach ist es ein wohlkalkuliertes Risiko für Ariel Sharon.

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STANDARD: Obwohl alles darauf hinsteuerte, schlug die Entscheidung Ariel Sharons, den Likud zu verlassen, dann doch ein wie eine Bombe. Haben Sie das erwartet?

Aronson: Sharon hatte keine andere Wahl. Innerhalb des Likud-Blocks hatte er jede Bewegungsfreiheit verloren, deshalb war er gezwungen, diese Partei zu verlassen, um weiterhin seine außenpolitischen Ziele verfolgen zu können: die Roadmap. Er ist bereit, Zugeständnisse zu machen, die im Rahmen des Likud überhaupt nicht möglich wären. Das ist ihm bewusst geworden: Er dachte, dass nach dem Gaza- Rückzug die Leute in der Partei die Tatsachen als vollendet akzeptieren würden. Aber das haben sie nicht getan. Deswegen konnte er sich nicht mehr darauf verlassen, dass die Knesset-Mitglieder des Likud weiterhin seine Politik akzeptieren werden.

STANDARD: Wird die Rechnung für ihn aufgehen? Das Ganze scheint doch sehr riskant.

Aronson: Da gibt es verschiedene Spekulationen. Meiner Meinung nach wird das Verhalten der Russen alles entscheiden, jene etwa eine Million Israelis, die aus der früheren Sowjetunion stammen. Diese Leute können Amir Peretz, den neuen Arbeiterpar 2. Spalte teichef, nicht leiden. Für sie ist er, wie wir es formulieren würden, eine Kombination zwischen einem Kommunisten und einem Schwarzen. Bei ihnen hat Peretz keine Chance – und ohne Russen kann man Wahlen in Israel nicht mehr gewinnen. Darauf verlässt sich Sharon.

STANDARD: Und wenn es für ihn klappt: Wie wird die neue Politik Sharons ausschauen?

Aronson: Er wird versuchen, mehr Siedlungen zu räumen, und mit den Palästinensern – das hängt natürlich davon ab, wie es mit der Hamas weitergeht – zu verhandeln. Er will einfach mehr Bewegungsfreiheit, ein Mann wie Sharon kann nicht funktionieren ohne Bewegungsfreiheit.

Das ist auch nicht das erste Mal in der israelischen Geschichte: Auch David Ben Gurion konnte nicht mehr funktionieren innerhalb der eigenen Partei und gründete eine neue, ohne großen Erfolg. Aber Ben Gurion war damals viel zu alt, um etwas zu vollenden. Sharon ist etwas jünger, und er kalkuliert, dass er innerhalb des israelischen Votums gute Chancen hat. Interessant wird aber dann sein, dass er mit seiner neuen Partei nicht allein regieren können wird, und dann wird es zu einer großen Koalition kommen. 3. Spalte Das ist komisch, aber wahrscheinlich.

STANDARD: Und Peretz wird dann dazu bereit sein?

Aronson: Wenn beide keine Mehrheiten im Parlament haben, dann ist die Situation so wie ihn Deutschland – man braucht eine Merkel. Für Peretz liegt die Zukunft jedoch nicht in diesen kommenden Wahlen, sondern in den übernächsten. Wenn er sich eine Position schaffen könnte, etwa als Finanzminister, dann ist das für ihn schon ein sehr großer Erfolg.

STANDARD: Und was wird aus dem Likud?

Aronson: Der wird mit den anderen rechten Parteien einen Block bilden. Es ist die Frage, wie viele Mandate sie bekommen, wahrscheinlich werden sie in der Opposition sein. Der Likud hat sich in eine Sackgasse manövriert, als so viele in der Partei gegen den Gaza- Rückzug opponiert haben. Sharon hat das genau erkannt. Die meisten von uns hier glauben, dass das eine positive Entwicklung ist. Der Schritt Sharons wird die Spaltung nicht weiter vertiefen, er ist ja bereits das Resultat einer Spaltung. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.11.2005)