Es war zeitig in der Früh. Etwa sieben Uhr. Für einen Wochenendtag eine absolute Nono-Anrufzeit. Das wissen alle Menschen, die unsere Nummern haben. Außer wenn es echt wichtig ist, herrscht bis zehn Uhr da absolutes Anrufverbot. Genau deshalb hatte A. ja auch abgehoben.
Novembersensation
Aber während ich, blind wie ein Maulwurf, nach meiner Brille tapste, hatte A. schon wieder aufgelegt: Deswegen, fauchte sie ziemlich stinksauer, dürfe man sie wirklich nicht aufwecken. Nie. Nicht einmal als Verwandte. Jedenfalls nicht, wenn man älter als vier Jahre ist – und sich also daran erinnern können sollte, dass Schnee eine völlig natürliche Sache ist. Auch Ende November. Erst recht, wenn der Wetterbericht ihn tagelang angekündigt hatte.
Bis in den Mai, grantelte A. das bereits tote Telefon (und also mich, der ich endlich meine Brillen gefunden hatte und den paar mickrigen Flocken vor dem Fenster beim Herumwackeln zusah) an, würde es vermutlich noch öfters schneien. Irgendwann würde der Schnee wohl auch liegen bleiben. Aber solange die Stadt nicht unter einer 25 Zentimeter dicken Schicht schallschluckender Winterwatte versunken sei, sei das weder wundersam noch wundervoll – und auch wenn es der Schnee noch nicht täte, wisse sie, was man in Wien an den Tagen der ersten Schneeflocke am allerbesten tue. Das was der Schnee nicht tut nämlich: Liegenbleiben nämlich. (Ich stand auf und machte Frühstück.)
Schneefahrbahnphobie
Wie Recht A. hatte, erlebten wir den Rest des Tages über. Denn das erste Wiener Schneemysterium funktionierte auch heuer wieder: Obwohl die Schneemenge höchstens als Äquivalent von leichtem Regen durchgegangen wäre, hatte mindestens ein Drittel der Menschen auf der Straße schlagartig das Autofahren verlernt. Leider verteilte sich dieses Drittel gleichmäßig über die ganze Stadt. Und der König des Drittels war immer vor uns in der Kolonne.
Andererseits kamen wir so wieder einmal auf die wundervolle Uralt-Geschichte von K. zurück. Damals, noch beim Falter, hatte K. als Reflex auf eine dieser Mitte Jänner und nach eineinhalbwöchiger, täglicher Wetterberichtswarnung urplötzlich, heimtückisch und unvermittelt über die wehrlose Stadt hereingebrochenen Winterkatastrophe von 13 Zentimetern Schnee in einer Nacht (die schönste Zeile zum Thema fand sich tags darauf in einer Autofahrerclub-Presseaussendung und lautete in etwa „ahnungslos wie die Lämmer zur Schlachtbank fuhren die Autofahrer ins Verderben“) einen Bürgermeister interviewt.
Bürgermeistergedanken
Freilich: Als Vorarlbergerin hatte sich K. einen Menschen ans Telefon geholt, der ihre Sprache sprach. Im Wesentlichen bestand das – dann ins Deutsche übersetzte - Gespräch aus einer einzigen Frage: Was er sich denn bei 13 Zentimetern Schnee binnen einer Winternacht für Gedanken mache, hatte K. den Gemeindechef gefragt. Die Antwort des Alemannen war kurz und prägnant: Gar keine – außer die 13 Zentimeter materialisierten sich über Nacht in seinem Wohnzimmer. Aber Wien sei eben anders. Und aus.
Weil Journalismus zu einem Gutteil die Kunst der Wiederholung ist, hatten wir in den Jahren darauf auf ähnliche „Katastrophen“ gehofft – um dann dieses Gespräch wieder publizieren zu können. Aber irgendwie war immer etwas dazwischen gekommen.
Winterpanik