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Über die entstehende Anforderung, Herausforderung oder Überforderung diskutierte ein Fachpodium.

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Mit einem Vortrag über "die gute, die böse und die schwierige Flexibilisierung" leitete Sepp Zuckerstätter von der Abteilung Wirtschaftswissenschaften und Statistik der Wiener Arbeiterkammer (AK) Mittwochabend in Anlehnung an den Western "The Good, the Bad and the Ugly" eine Diskussion zur Flexibilisierung als "Sachzwang oder Vorwand" ein. Den viel zitierten Flexibilitätsanspruch betrachtet er sehr different. Einerseits ermögliche man den Arbeitnehmern weit gehend, sich Bürozeiten, Aufgabenteilung und anderes selbst einzuteilen - "das ist die gute Flexibilität" -, andererseits bekomme das Motto "Allzeit bereit" für den Einzelnen eine neue Dimension, "wenn Sonntagfrüh der Vorgesetzte anruft und sie ins Büro bestellt", nur damit man schlussendlich für ein von ihm verbocktes Geschäft geradestehen müsse.

"Die Differenz liegt in der Macht- und Verteilungsfrage", schließt Zuckerstätter. Wer ständig nur angeschafft bekomme und auch noch mögliche Einkommensverluste tragen müsse, zähle zu den Verlierern der Flexibilisierung. Die Grenze zwischen Diktat und Vereinbarung "ist fließend", eine Win-Win-Situation werde nur durch beidseitige Freiwilligkeit möglich.

"Kampfbegriff"

Die anschließende Podiumsdiskussion unter der Leitung von STANDARD-Mitarbeiterin Heidi Aichinger eröffnete Jörg Flecker, wissenschaftlicher Leiter der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt, mit dem Wunsch, das als "neoliberalistischer Kampfbegriff" vorbelastete Vokabel nicht mehr zu verwenden, was freilich schwer umzusetzen war.

Sei die Flexibilisierung mit der Entschärfung des Pünktlichkeitszwangs, der Erleichterung von Auszeiten und der Schaffung von Teilzeitjobs, kurzum: durch die "Humanisierung der Arbeitswelt" ursprünglich positiv besetzt gewesen, so habe sich die Realität geändert. Flecker: "Heute bedeutet sie das Abwälzen von Unternehmerrisiken auf den Arbeitnehmer."

Die Arbeitgeber wüssten eben, "dass der Mensch unglaublich leidensfähig ist", meinte Philosoph Konrad Paul Liessmann von der Universität Wien. Eine Rücknahme der verschobenen Verantwortlichkeit wäre unlogisch, "wenn man damit rechnen kann, dass eh alles erduldet wird". Um Tatsachen infrage zu stellen "muss man die Dinge beim Namen nennen", verweist er auf die weitgehende Akzeptanz des fortschreitenden Flexibilisierungsprozesses. Denn eigentlich propagiere auch niemand mehr ernsthaft das Ideal vom "Job auf Lebenszeit: Diese Vorstellung haben wir gar nicht mehr".

Jochen Preiss von der AK-Abteilung Sozialpolitik stellt fest, dass "Arbeitsverträge heute genauso ausverhandelt werden wie die Konditionen der Kreditkarte - nämlich gar nicht". Dies sei umso problematischer, als sich Verträge mit All-in-Klauseln häuften, die unter Berücksichtigung der steigenden Überstundenbelastung vielen Dienstnehmern einen Stundenlohn beschere, "der oft sogar unter dem Kollektivvertrag liegt".

Widerrufsklauseln dämpfen die Freude über Beförderung und Lohnerhöhung, mit Konkurrenzklauseln wolle man Arbeitern, die aus dem Betrieb ausscheiden, ein Unterkommen bei Mitbewerbern möglichst schwer machen. Überhaupt bestünden Verträge aus immer mehr Klauseln.

Die Vizepräsidentin der Wiener AK und Zentralsekretärin der Gewerkschaft für Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst, Renate Lehner, bedauert den Schwund an Vollzeitjobs, der in erster Linie Frauen zu Flexibilisierungsverlierern mache. "Der flexible Arbeitsmarkt ist absolut weiblich", verweist sie darauf, dass der Anteil von Teilzeitarbeitern am männlichen Arbeitsmarkt sechs Prozent, bei Frauen aber satte 40 Prozent betrage.

Auch der Wiedereinstieg nach der Karenz werde durch verschiedene Ideen der Wirtschaft erschwert. So erwähnt Lehner die Forderung der Industriellenvereinigung, die Zumutbarkeit der Anreise zum Dienstgeber von 50 auf 80 Kilometer auszuweiten, was sich gerade im Teilzeitbereich auswirken würde. "Wenn das umgesetzt wird, bleiben noch mehr Frauen daheim und gleiten in die Arbeitslosigkeit ab." Auch der Widerspruch zwischen Job-Flexibilität und dem Mangel an flexibler Kinderbetreuung und Weiterbildung müsse beseitigt werden.

"Nachholbedarf"

Bei Letzterem wäre "eine Möglichkeit sicher E-Learning", brachte Michael Tölle von der Abteilung Weiterbildung der AK ein. Nur sei diese Technik auf Bereiche eingeschränkt, in denen soziale Interaktion im Hintergrund stehe, und etwa für das Sprachenlernen sicher nicht ideal.

Flexibilität sollte z. B. bedeuten, "dass man leichter in Bildungskarenz gehen kann", denn die Öffnungszeiten der Erwachsenenbildungsanstalten ließen in der Tat zu wünschen übrig. "Wenn man fünfmal pro Woche abends in einen Kurs muss, um die Matura nachzumachen, und es sonst nicht geht, dann herrscht großer Nachholbedarf."

In Bezug auf E-Learning reklamiert Liessmann den "Kreislauf der Flexibilisierung". Denn auch wenn man sich so jederzeit daheim bilden könne, so müsse doch "auf der anderen Seite" ein flexibilisierter Job sein, um Software und Server rund um die Uhr problemfrei zu halten.

Als allgemeiner Tenor des Podiums, das neben der AK auch der Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung und das Institut für Aufsichtsrat-Mitbestimmung mitveranstalteten, blieb schließlich die Forderung, dass auch Unternehmer mehr Flexibilität zeigen müssten.
(Der Standard, Printausgabe 19./20.11.2005)