Nichts schwieriger, als über Liebe zu schreiben. Nichts einfacher, als über Liebe und ihre Formen, ihre Spielarten, über Liebe als Phantasma zu schreiben und als "folie", als Sehnsucht und Erwartung, über Liebe als Ernüchterung, Enttäuschung, Schmerz, Verzweiflung und Verlust.

"Erst dein Haar in den Cassolettes meiner Hände und dann deine Haut, gut gebraten in langer Erwartung - erst das eine Auge und dann das andere, und deine Ohren à la nage". So spricht, denkt, fühlt eine Kannibalin des Gefühls in der gleichnamigen Erzählung der ausgebildeten Ärztin und Schriftstellerin Katharina Faber aus Zürich. In 26 unterschiedlich langen Texten - von einer Druckseite bis fast 30 Seiten umfassend - ihres neuen Erzählungsbandes exerziert sie das größte Thema der Weltliteratur, die Liebe, meisterhaft durch, examiniert es in Prosakaskaden, ohne dabei rigide zu verfahren oder zu verkrampfen. Im Gegenteil: Nie verliert sie das Spielerische, das Lustvoll-Verspielte aus den Augen und den Worten. Von großer, manchmal fast brennender, ja inbrünstiger Intensität, von gewaltiger Sprachkraft sind ihre bis auf ganz wenige Ausnahmen bezwingenden Texte.

Bereits die Titel der Faber'schen Prosa wagen übergroße Suggestivität - und gewinnen. "Von der losgelösten Gier und ihrer Beute" ist eine überschrieben. Eine andere: "Führt meine Mutter den Sommer noch im Mund". Oder auch: "Auf den Schultern meines Engels komm" (eine von lediglich zwei, drei Erzählungen, die, da sie in Rhetorik verharren, nicht zu überzeugen vermögen).

"Was von uns bleiben wird, ist nämlich nur der Wunsch, einander anzufassen, wo es am schönsten und wo es am schlimmsten ist, und einander anzuschauen und die Blödigkeit weiterzutreiben, den schlechten Geschmack, und die besten Filme vorzeitig zu verlassen und dann im Hotel als voreilig küssendes Paar steifbeinig aus dem Lift zu kippen". Da gibt es also Sie und es gibt Ihn, die sich gegenseitig im Schlaf beobachten oder mit dem Fernglas. Die sich in die Wellen eines Meeres stürzen und den Partner hintergehen. Da gibt es das Bonnie-und-Clyde-Pärchen in einer Schweizer Stadt, die erst eine Tankstelle überfallen, dabei viel weniger Geld erbeuten als erwartet, sich in der Wohnung eines neuen Bekannten verschanzen, von Kind, Reihenhaus und gleichzeitig dem ganz Anderen träumen, das es irgendwo doch geben muss, und verhaftet werden, weil der Bekannte die Wohnung als Rauschgiftdepot genutzt hat. Da gibt es in Südfrankreich - einer bereits aus Katharina Fabers Debütroman Manchmal sehe ich am Himmel einen endlos hohen Strand, für den sie 2003 den Rauriser Literaturpreis erhielt, wohlbekannten Region - eine reiche Familie, abwesender Vater, treusorgende, am Rand des Zusammenbruchs balancierende Mutter, die Kinderfrau Ma-mi und drei Kinder, von denen eines an einer unheilbaren Krankheit erkrankt ist und stirbt.

Innen und Außen, Emotion und Wahrnehmung der Objekte gleiten in Fabers Welt rasch ineinander über. Es ist aber keine sich aus Nihilismus bedingende, rasend diesseitige sensuell-materialistische Fingerkuppenprosa, wie sie etwa die 20-jährige Deutsche Susanne Heinrich schreibt, die heuer beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb einzig mit dem Satz "Wir rauchen beim Ficken" für Aufsehen sorgte. Katharina Fabers Prosakunst ist große Literatur. Und sie ist reich an literarischen Anspielungen. Für ihren ersten Roman verwendete sie bereits im Titel ein Rimbaud-Zitat. Und auch in Mit einem Messer zähle ich die Zeit findet man Verweise, nicht nur auf Italo Calvino in der Auftaktgeschichte, sondern im gesamten Buch, bis hin zur Coda, einer Gedichthommage an die große russische Lyrikerin Marina Zwetajewa (1892-1941), auch sie eine hemmungslos Liebende.

Selber nannte Katharina Faber als Inspiration Ingeborg Bachmann und die brasilianische Schriftstellerin Clarice Lispector. Die Erzählungen der 1977 verstorbenen Südamerikanerin sind gleicherweise intensiv und doch ohne jede gekünstelte Magie. Dienen also Malina und die Todesarten , Lispectors Nahe dem wilden Herzen und Wo warst du in der Nacht als Wegeshilfen "im Wortschutt, im Geröll der Sätze" (Katharina Faber), um sich in diesem Mikromakrokosmos der brennenden Herzen und der enthemmt in Zungen Singenden, der Liebe als Jungbrunnen und als Versteinerung, des Hintergehens und des Sich-Findens Liebender zurechtzufinden? Keineswegs. Man vertraue sich einfach Fabers Sprache an: "erst du und dann ich als Beurre manié , als Liaison mit meinem Innersten, und zuletzt die schönsten Fetzen deiner abgebrochenen Sätze in einem Millefeuille des schwindelnden Herzens, so sollst du vergehen und ewig dauern im Verzehr, ein Mahl, ein einziges Mahl, ein großes Glück -". (ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 19./20.11.2005)