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Wenn wir jung sind, glauben wir, dass die Sexualität das Allerwichtigste im Leben ist. Was ja auch stimmt. Aber dann werden wir älter. Sind wir Frauen, haben wir nichts als negative Erfahrungen mit der Sexualität gemacht. Sind wir Männer, auch.

Die Frauen haben erfahren, dass die Männer immer wollen, und zwar egal, ob sie die jeweilige Frau lieben oder nicht, und die Männer haben erfahren, dass die Frauen nur dann wollen, wenn die Männer sie lieben, und zwar ganz egal, ob sie selbst den jeweiligen Mann lieben oder nicht. Dazu kommen die Schwierigkeiten beim Entschlüsseln der entscheidenden Zeichen. Wie jeder weiß, reden die Frauen zu viel und die Männer zu wenig. Nur: Was bedeutet das viele Reden in einer bestimmten Situation und was bedeutet das Schweigen?

Bedeutet das viele Reden der Frauen, dass sie Kontakt mit dem Mann aufnehmen wollen, weil sie nur dann mit jemandem schlafen wollen, wenn sie auch mit ihm reden können, und bedeutet andersherum das Schweigen der Männer, dass sie nicht alles zerreden wollen, weil man über das Lieben nicht reden soll, sondern es tun? Oder bedeutet das viele Reden der Frauen gar nicht, dass sie Kontakt mit dem jeweiligen Mann aufnehmen wollen, weil sie nur mit jemandem schlafen wollen, mit dem sie auch reden können, sondern bedeutet es ganz im Gegenteil, dass sie eigentlich nicht wollen und, statt sich dem Mann hinzugeben, weil sie ihn begehrenswert finden, ununterbrochen reden, um sich ihm nicht hingeben zu müssen, weil sie ihn eben nicht begehrenswert finden, was sie ihm aber nicht sagen wollen, weil die Frauen zwar ununterbrochen reden, aber nie sagen, was sie wirklich meinen, und bedeutet auf der anderen Seite das ununterbrochene Schweigen der Männer nicht, dass sie nicht alles zerreden wollen, weil man über das Lieben nicht reden, sondern es tun soll, sondern bedeutet es nicht vielmehr, dass sie die Frau, die sie begehren, im Gegenteil, gar nicht lieben, ihr genau das aber nicht sagen wollen, weil die jeweilige Frau dann sicher nicht mit ihnen schläft?

-->Das Rätselraten beginnt bereits in der Pubertät ... Das Rätselraten beginnt bereits in der Pubertät. Die Mädchen tuscheln in Gruppen über die Burschen, und die Burschen schweigen und trainieren weiter Fußball oder Handball. Da meine Tochter und ich gemeinsam einen so genannten Frauenhaushalt bilden, beschäftigt uns hauptsächlich das Schweigen der Männer. "Meinst du", fragt meine Tochter mich in aller Herrgottsfrüh, ich liege noch im Bett, während sie täglich um sechs Uhr früh aufsteht, "dass er nichts sagt, bedeutet, dass er nicht will oder dass er nicht darüber reden will?" Ich habe gerade von der Mafia geträumt, die hinter mir her ist. Wahrscheinlich hätte ich doch gestern nicht noch nach der modernen Stifter-Oper in den Kammerspielen um 21.30 Uhr italienisch essen gehen sollen. "Sprichst du von deinem Vater?", frage ich deshalb schlaftrunken. Meine Tochter ist in der Pubertät. "Quatsch", sagt sie, "du passt nie auf, wenn man dir etwas erzählt." Bevor ich noch nachfragen kann, was sie mir denn wann erzählt hat, ist sie bei der Tür draußen. Sie hat schließlich Schule. Ich sitze aufrecht im Bett und denke über den tieferen Assoziationszusammenhang von Mafia und Ex-Ehemännern nach. Naturgemäß lande ich bei der Omertà, dem Schweigen. Und dem Ehrenkodex.

Ich muss zugeben, dass ich überhaupt nichts von Ehrgefühl verstehe. Es ist mir fremd. Übrigens verstehe ich auch nichts von dem Verantwortungsgefühl, von dem viele Männer sprechen, wenn sie sich nicht scheiden lassen wollen. Ich habe einmal irgendwo gelesen, dass Rudi Carrell sich von seiner Frau aus Verantwortungsgefühl nicht hat scheiden lassen, bis seine Geliebte, mit der er jahrelang zusammenlebte, an Krebs gestorben ist. Ich habe sie geliebt, soll Rudi Carrell nach ihrem Tod gesagt haben.

Jetzt frage ich Sie, wie soll man als Frau die Liebe der Männer verstehen? Aber den Männern soll es andersherum ja nicht anders gehen. Wir können beinahe täglich im Fernsehen bei der Realityshow Familientausch beobachten, wie Männer fassungslos vor der Tatsache stehen, dass Frauen, die behaupten, ihre Ehemänner zu lieben, diesen nicht einmal das Frühstück zubereiten. Frauen sind nie spontan, sagen Männer. Ein Bekannter hat mir einmal erzählt, dass seine Frau, die ebenfalls berufstätig ist, und er jahrelang ganz nebenbei den Haushalt geschmissen hätten. Allerdings sei seine Frau - Kinder haben sie keine - stets unzufrieden gewesen mit dieser Lösung. Nach langem Sträuben habe er deshalb dem Plan seiner Frau, die Hausarbeit wochenweise aufzuteilen, eine Woche du, soll seine Frau gesagt haben, eine Woche ich, zugestimmt. Es sei dann die Hölle gewesen, sagt mein Bekannter. Seiner Frau habe nichts gepasst, was er gemacht hat. Habe er aufwändig gekocht, habe sie das nach eigener Aussage ganz nervös gemacht. Sie sei hinter ihm gestanden und habe ihm ständig Ratschläge gegeben. Habe er nur eine Kleinigkeit zubereitet, habe es ihr auch nicht gepasst. Manchmal sei sie dann losgelaufen und habe noch etwas Zusätzliches eingekauft.

--> Die Sache mit dem Koriander Ein netter Inder, der in Salzburg ein indisches Restaurant betreibt, hat mir während meiner Kur in Bad Hofgastein vorigen Juni erzählt, wie seine Frau ihm das Kochen zu Hause abgewöhnt habe. Seine Frau, die aus dem Salzburger Land stamme, habe ihm weiszumachen versucht, dass in der indischen Küche ursprünglich kein Koriander verwendet worden sei. Da dies ein ausgemachter Unsinn sei, habe er weiter Koriander verwendet, was zu Tränenausbrüchen seiner Frau nach jedem von ihm zubereiteten Essen geführt habe. Infolgedessen habe er dann zu Hause gar nicht mehr gekocht. Was das mit Sexualität zu tun hat? Alles! Denn eine Frau will nicht mit einem Mann schlafen, der nicht einmal versteht, dass sie Koriander in Wirklichkeit hasst, und ein Mann will nicht mit einer Frau schlafen, die ihn emotional damit erpresst, dass er nicht nur keinen Koriander mehr verwenden darf, wenn er sie liebt, sondern sich auch der fälschlichen Meinung anschließen muss, Koriander sei in der indischen Küche gar nicht verwendet worden. Ein Dilemma.

Und selbst in dem Fall, dass der Mann wochenweise mit Koriander kocht und seine Frau Koriander liebt, ist das keine Garantie für eine glückliche Ehe. Man kann heute in jeder Psychologiezeitschrift lesen, dass die Ehe dem Sex schadet. Es liegt wohl am Alltag, an der Routine, an der Langeweile. In den Psychologiezeitschriften kann man lesen, dass dagegen nur Arbeit hilft. Sex-Arbeit. Da aber die meisten Menschen bei uns ohnehin schon ganz erschöpft sind von der vielen Beziehungs- und Erziehungsarbeit und/oder Trauerarbeit, die sie ununterbrochen leisten müssen, wenn sie den Ratschlägen in den Psychologiezeitschriften folgen, wollen sie nicht auch noch zusätzlich Sex-Arbeit leisten. Dann lassen sie es lieber ganz. Die Frauen werden immer unansehnlicher und dicker. Die Männer auch.

Meine Tochter meint, die meisten Männer seien stur und könnten nichts erklären. Sie sagt, Männer fühlten sich immer persönlich angegriffen, wenn man das, was sie erklärten, nicht verstünde und stellten sich dann stur. Das sei nicht nur bei den Lehrern so. Außerdem könnten Männer niemals verlieren. Zwar könnten auch Frauen nicht verlieren, aber die heulten wenigstens und sprächen darüber. Wobei wir wieder beim Schweigen wären. Und damit beim allergrößten Dilemma. Denn im Selbstbild des Mannes ist Schweigen Gold. Denken Sie an die vielen Wildwesthelden, die schweigend ihren Colt ziehen und schießen. Frauen hassen nichts mehr als schweigende Männer. Ich fürchte für den Bestand der nordwestlichen Menschheit. Denn je mehr Frauen arbeiten und deshalb ständig davon reden, die Arbeit im Haushalt mit den Männern aufteilen zu wollen, die aber spontan sein und daher nichts aufteilen und schon gar nicht darüber reden wollen, desto schwieriger wird es mit dem Sex werden.

Die Frauen, die arbeiten und daher nicht mehr auf das Geld der Männer angewiesen sein werden, werden abends auch froh sein, wenn sie nicht mehr über den Haushalt reden müssen, sondern die Füße hochlegen und in ihren eigenen Fernsehapparaten die Realityshows anschauen können, in denen die Männer über die fehlende Spontaneität der Frauen reden. Die Frauen werden, da bin ich ganz sicher, immer mehr ins Grübeln kommen, ob es sich für das bisschen Sex, von dem sie eh meistens nicht viel haben, da ja die meisten Frauen gar keinen Orgasmus beim Sex haben, sondern den Orgasmus nur vortäuschen, um ihre Männer, auf deren Geld sie noch angewiesen sind, nicht zu enttäuschen und damit letztendlich zu verlieren, weil es ja den Männern bekanntlich vor allem auf den Sex ankommt, die Frauen werden also ins Grübeln kommen und sich fragen, ob es sich für das bisschen Sex auszahlt, stundenlang über den Haushalt zu reden. Sie werden zu dem Schluss kommen, dass es da immer noch besser ist, alleine zu bleiben und gegebenenfalls in ein Fitnessstudio zu gehen, wo man zwar keinen Orgasmus, aber immerhin Muskeln bekommt und sich überhaupt effizienter bewegt als beim Sex.

Sollte man körperlichen Kontakt brauchen, kann man sich immer noch massieren lassen. Dabei braucht man gar nicht zu reden. Und wenn doch einmal der Fall eintreten sollte, dass eine Frau Sex haben will, kann sie es sich auch selbst machen. Und zwar in jedem Falle besser als mit Mann. Eine Frau kann stundenlang einen Orgasmus nach dem anderen haben. Das ist wissenschaftlichen erwiesen, meine Herren! Es gibt genau besehen nur eine Chance für den Fortbestand der nordwestlichen Menschheit: Die Männer brechen endlich ihr Schweigen, damit die Frauen nicht mehr so viel reden müssen. (Margit Schreiner/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19./20. 11. 2005)