Berlin - Nach fast vier Jahrzehnten hat Deutschland wieder eine Große Koalition. Die Spitzen von Union und SPD unterzeichneten am Freitag in Berlin das rund 190-seitige Vertragswerk. CDU-Chefin Angela Merkel sagte während einer Feierstunde im Paul-Löbe-Haus, Ziel der neuen Regierung müsse es sein, "neues Vertrauen bei den Menschen zu bilden". In vier Jahren müssten die Menschen sagen können, dass es ihnen "ein Stück besser" gehe. Unterdessen riefen führende Sozialdemokraten ihre Fraktion auf, Merkel am Dienstag im Bundestag zur ersten Kanzlerin Deutschlands zu wählen.

Für die Union setzten Merkel sowie CSU-Chef Edmund Stoiber und der designierte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) ihre Unterschrift unter das rund 190-seitige Vertragswerk. Für die SPD unterzeichneten Parteichef Matthias Platzeck, der designierte Vizekanzler Franz Müntefering und die stellvertretende Parteivorsitzende Elke Ferner. Der Vertrag trägt den Titel "Gemeinsam für Deutschland. Mit Mut und Menschlichkeit".

"Fröhlichkeit und Leidenschaft"

Merkel sagte, mit dem Vertrag sei die Grundlage für eine erfolgreiche Arbeit der Großen Koalition gelegt. "Beweisen wird es sich im Handeln." Merkel bekräftigte, Deutschland in den nächsten zehn Jahren unter die drei ersten Länder in Europa bringen zu wollen. "Wir wollen Deutschland wieder nach oben führen." Den neuen Koalitionären riet sie, die Arbeit "mit Fröhlichkeit und Leidenschaft" anzugehen.

Platzeck unterstrich, das schwarz-rote Bündnis trete als "Koalition der Verantwortung" an. Die SPD wolle in den kommenden vier Jahren ihren Beitrag leisten, "damit die Menschen in unserem Lande wieder mehr Zuversicht verspüren". Ziel sei, dass Deutschland wieder "ein optimistisches, ein zupackendes Land" werde. Anfang der Woche war die Große Koalition von den Parteien mit großer Mehrheit gebilligt worden. Die bisher einzige Große Koalition in Deutschland regierte von 1966 bis 1969 unter Kurt Georg Kiesinger (CDU).

"Optimismus"

Stoiber mahnte "mehr Optimismus" gerade bei den Meinungsführern im Land an. Er wünsche sich, dass am Beginn der Großen Koalition gesagt werde: "Das Glas ist halb voll, lasst uns jetzt ans Werk gehen". Der designierte Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) sagte dem Fernsehsender n-tv, es komme nun darauf an, "dass wir nicht eine halbe rote und eine halbe schwarze Regierung haben, sondern dass wir eine gemeinsame Koalition machen".

Genau dies steht angesichts der drohenden SPD-Gegenstimmen bei der Wahl Merkels zur Kanzlerin allerdings in Frage. Offenbar sind einige SPD-Abgeordnete entschlossen, sich für das schlechte Ergebnis für Wolfgang Thierse bei der Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten zu revanchieren. Der designierte Vizekanzler Franz Müntefering geht dennoch von einem klaren Votum der SPD bei der Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin aus. "Die Mehrheit wird sehr eindeutig sein", sagte Müntefering am Freitag in Berlin.

Der parlamentarische Geschäftsführer der oppositionellen FDP-Fraktion, Jörg van Essen, kündigte an, dass seine Fraktion nicht für Merkel stimmen werde, "weil sie in der Abstimmung für eine falsche Politik der großen Koalition steht". Auch die Linksfraktion und die Grünen kündigten an, Merkel bei der Kanzlerwahl die Stimme zu verweigern.

Die Wahl ist am kommenden Dienstag für 10.00 Uhr im Bundestag vorgesehen. Danach fährt Merkel zu Bundespräsident Horst Köhler, um sich ihre Ernennungsurkunde abzuholen. Um 14.00 Uhr soll die Bundestagssitzung mit der eigentlichen Vereidigung fortgesetzt werden. Bereits am Mittwoch soll Merkel ihre erste Auslandsreise als Kanzlerin nach Paris antreten. (APA/AP/dpa)