Martin Bartenstein: Wir haben ein von
den Franzosen initiiertes
Agrarpapier unterschrieben,
aber da sind wir in guter Gesellschaft mit einem weiteren
Dutzend EU-Staaten. Unser
Hauptziel in der Doha-Runde
ist eine weitere Liberalisierung bei Industriezöllen und
Dienstleistungen. Ein Land,
das mehr als 50 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts mit
Exporten erwirtschaftet, das
2006 die Export-Schallmauer
von 100 Milliarden Euro
durchstoßen will, tut gut daran, den Freihandel zu unterstützen. Das gilt auch für
unsere Unternehmen: Der
Vergleich zu den USA zeigt,
dass dort der Lobbyismus der
Wirtschaft für den Freihandel
viel stärker ausgeprägt ist.
STANDARD: Ihr Ministerkollege
Pröll scheint vom Freihandel
weniger begeistert zu sein.
Bartenstein: Josef Prölls Aufgabe ist es, Österreichs Bauern
zu vertreten, meine ist es,
Fortschritte in Sachen WTO
zu begleiten. Innerhalb dieser
Interessenspositionen sind
wir optimal abgestimmt und
gehen geschlossen vor. Wir
werden Österreich in Hongkong gemeinsam vertreten.
STANDARD: International wird
die EU-Agrarpolitik für die Probleme der Welthandelsrunde
verantwortlich gemacht. Woher kommt dieser Eindruck?
Bartenstein: Europas Position
in Sachen Landwirtschaft ist
viel besser als der mediale Eindruck. Seit Franz Fischler ist
die EU bei der Reform der
Agrarpolitik in die Offensive
gegangen. Dass wir im
Schwarzer-Peter-Spiel mit
den USA jetzt wieder in die
Defensive geraten sind, ist
auch ein Strukturproblem. Es
gibt keinen europäischen
Bundesstaat, sondern eine
Kommission und 25 Mitgliedstaaten. So bleibt die Position
Frankreichs und die Vetodrohung von Präsident Chirac
niemanden verborgen.
STANDARD: Aber wäre es nicht
gut, einmal zu sagen, dass Europas Konsumenten und
Steuerzahler vom Abbau des
Protektionismus in der Landwirtschaft profitieren würden?
Bartenstein: Volkswirtschaftlich mag das stimmen, aber
die politische Realität ist anders. Es geht nicht nur um
Zehntelprozente im Bruttoinlandsprodukt, sondern auch
um die Sicherung bäuerlicher
Existenzen, um Nahrungsmittelsicherheit und Umweltschutz. Das lässt sich nicht in
Prozentpunkten ausdrücken.
STANDARD: Ähnliche Argumente
hört man in den Entwicklungsländern, wenn es um deren Industriezölle geht.
Bartenstein: Dort spielt der
Lobbyismus eine große Rolle.
In Ländern wie Indien wollen
die Großkonzerne alles, nur
nicht ihre Grenzen öffnen.
STANDARD: Aber Freihandel und
die WTO haben auch in Österreich einen schlechten Ruf.
Bartenstein: Die WTO ist die
einzige multilaterale Organisation, die dank ihrer Streitbeilegungsmechanismen und
Sanktionsmöglichkeiten wirklich etwas bewirken kann.
Dass der Handel zwischen den
USA und Europa trotz einiger
Konflikte wie Airbus–Boeing
zu 99 Prozent völlig friktionsfrei verläuft, das hat viel mit
der WTO zu tun – ebenso, dass die Weltwirtschaft im Vorjahr
so stark gewachsen ist wie seit
30 Jahren nicht mehr. Eine
Schwäche der WTO war die
mangelnde Rücksicht auf die
Interessen der Entwicklungsländer, doch gerade hier soll
die Doha-Runde Fortschritte
bringen. Dass heute auch viele
Menschen in China, Indien, in
weiten Teilen Asiens und Lateinamerikas am Wohlstand
teilhaben können, wäre ohne
WTO nicht möglich.
STANDARD: Viele Europäer assoziieren China und Indien mit
der Sorge um ihre Arbeitsplätze. Kann man in einem solchem Umfeld rational über
Freihandel diskutieren?
Bartenstein: Die Globalisierung ist für uns Europäer das
Krokodil des guten Kasperls,
das für alles verantwortlich
gemacht wird. Aber Prozent der Probleme Europas
sind hausgemacht. Die Globalisierung ist nicht schuld an
dem Reformbedarf bei Altersversorgung oder Gesundheitswesen. Wir sollten vor unserer eigenen Türe kehren und nicht die USA und China dafür verantwortlich machen.