Nobelpreisträgerin Ebadi: Kritik an Zensur.

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Eine klare Verschärfung der Menschenrechtslage im Iran und zugleich starken Widerstand dagegen sieht Shirin Ebadi, Friedensnobelpreisträgerin 2003, seit der Wahl des Ultrakonservativen Mahmud Ahmadi-Nejad zum Staatspräsidenten vor einem halben Jahr. Unter anderem verbiete ein neues Gesetz alle künstlerischen Werke, die mit Nihilismus, Säkularismus und Feminismus in Verbindung gebracht werden, berichtet die Anwältin im Gespräch mit dem STANDARD.

Die strenge Zensur führe auch dazu, dass bestimmte Internetseiten gesperrt werden. "Alle Seiten, auf denen die Begriffe woman, gender oder sex vorkommen, sind nicht mehr zugänglich." Dagegen gebe es allerdings heftigen Widerstand. "In erster Linie kommt er von den Frauen selbst, aber auch die Jugend wehrt sich. Ahmadi-Nejad hat sehr wenige Sympathisanten in der Bevölkerung."

Patriarchat

Auf den Einwand, dass Ahmadi-Nejad immerhin gewählt worden sei, meint Ebadi, er habe offiziell 14 Millionen Stimmen von insgesamt 48 Millionen Wahlberechtigten bekommen. Auch wenn diese echt seien, "ist das alles andere als ein Sieg. Denn eine Wahl ist nur etwas wert, wenn sie eine freie Wahl ist. Aber im Iran wählt nicht das Volk, sondern der Wächterrat die Kandidaten aus." Ebadi schätzt, dass nur etwa 15 Prozent der Bevölkerung hinter Ahmadi-Nejad stehen.

Interpretiert der Präsident in seiner Haltung zu den Frauen den Koran absichtlich falsch? Ebadi: "Dazu möchte ich Ihnen eine Geschichte erzählen: Als der Prophet Mohammed Regierungschef wurde, verlangte er, dass ihn das Volk in einer Wahl bestätigt. Und dabei rief Mohammed nicht nur Christen und Juden zur Stimmabgabe auf, sondern ausdrücklich auch Frauen. Am gleichen Ort dürfen 1500 Jahre später Frauen nicht wählen - in Saudi-Arabien. Es ist also nicht der Islam, der die Rechte der Frauen verletzt, sondern das Patriarchat, das in den islamischen Ländern stärker verwurzelt ist." (Susanne Rössler/DER STANDARD, Printausgabe, 16.11.2005)