Wels - Die Amis waren da, und das war gut so. Schließlich hieß der Kurator des Welser Unlimited-Festivals heuer Larry Ochs. Und von ihm, dem kalifornischen Meister des gewundenen Blasrohrs mit dem Hippie-professoralen Äußeren, erwartete man nicht zuletzt auch die Vorstellung einiger Jung- bis Altspunde, die in Europa bis dato nicht erhört worden sind.

Man wurde prompt bedient: Als veritable Entdeckung verdient das erstmals außerhalb der USA konzertierende Trio Convulsant des Bassisten Trevor Dunn apostrophiert zu werden. Ideen- und überraschungsreich wurde hier irgendwo zwischen Free- und Postrock die Kunst der Dekonstruktion zelebriert, ohne das Moment wuchtiger Körperlichkeit zu vernachlässigen.

Neben Dunn und Schlagzeuger Ches Smith verdient dabei vor allem auch Gitarristin Mary Halvorson Erwähnung, die die Rhythmustextur ebenso mit abstrahierten Slide-Strukturen überwuchern ließ wie mit fauchenden Noise-Attacken. Sich selbst servierte Larry Ochs dreimal im Festivalmenü:

Im nach 28 Jahren noch immer erfreulich frisch klingenden Verein des Rova Saxophone Quartet, das - gelenkt über differenzierte, wechselseitige Einsatzzeichen - kontrastreiche Aggregatzustände frei improvisierten Klangmaterials durchlief, hat man zweifellos zu einer bestechend kohärenten Klangidentität gefunden. Alle Ohren waren freilich auf die mutmaßliche Europa-Premiere der von Ochs inszenierten, "elektrischen" Neudeutung John Coltranes 1965 zu Plattenrille gebrachtem Opus Ascension gerichtet. Ohne formale Experimente, bei weit gehender Nähe zum Original und Wechseln von Soli und Kollektiven gelang es Ochs durch Neuinstrumentierung und eine Laisser-faire-Haltung gegenüber Details, Coltranes legendären Meilenstein des orchestralen Free Jazz zu würdigen, ohne sich um kontraproduktive Werktreue zu bemüßigen.

Das Inferno

Vielmehr verlieh er der Musik neue Brachialität: Vor allem die auf sieben Instrumente verbreiterte "Rhythm Section", unterstützt durch E-Gitarre (Nels Cline) und Elektronik (Chris Brown, Andrea Parkins, Thomas Lehn), entwickelte elektrisierende Schubkräfte und ließ die Soli der fünf Aerofonisten (Rova plus Trompeter Natsuki Tamura) gleich gewaltigen, infernalischen Noise-Tsunamis über die Bühne branden.

Gerade in einer Zeit, da Wynton Marsalis in seiner ideologisierenden Kanonisierung der Jazzgeschichte auch nach Coltrane greift (etwa A Love Supreme), bedeutet "Electric Ascension" eine wichtige, kraftvolle Alternativ-Vision im Umgang mit historischen Meisterwerken.

Freie Improvisation war in gewisser Weise auch das inoffizielle Generalthema des Festivals: Strukturell gelenkt, bemerkenswert oft aber auch ohne jede Vorgabe, wurde ihr in beinahe allen Konzerten gefrönt: Letzteres tat etwa das Piano-Violin-Duo Satoko Fujii/Carla Kihlstedt, das seine Energien lustvoll zwischen versponnenen Traumtänzen und athematischen Materialstrukturen auslebte.

Als kluger Improvisationschoreograf erwies sich hingegen wieder der Kölner Saxofonist Frank Gratkowski, der mittels raffinierter Schichtungen freier und gebundener Linien mit seinem ausgezeichneten Doppelquartett wiederholt Höhepunkte von vibrierender Dichte ansteuerte. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.11.2005)