"Sanieren, reformieren, investieren" - unter dieses Motto haben Union und SPD ihren ersten gemeinsamen Koalitionsvertrag nach 39 Jahren gestellt. "In gemeinsamer Verantwortung wollen wird das Land voranbringen", heißt es darin. Doch das 150 Seiten starke Programm wird bereits seit Tagen von der Opposition, der Gewerkschaft, von Pensionsverbänden und der Wirtschaft zerrissen. Besonders heftig ist die Kritik an der geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer. Diese soll im Jahr 2007 von derzeit 16 auf 19 Prozent ansteigen. Das Geld fließt zum Teil in die Sanierung des Bundesbudgets sowie der Länderetats und wird auch dafür verwendet, die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent zu drücken.

"Wir wissen, dass wir mit diesem Koalitionsvertrag den Menschen im Lande auch etwas zumuten", verteidigt die designierte Kanzlerin Angela Merkel den schwarz-roten Kurs und erklärt: "Deutschland steht am Scheideweg, aber wir wollen, dass daraus eine Chance wird." Die Bevölkerung werde die Regierung am Abbau der Arbeitslosigkeit messen, ist Merkel überzeugt. Sie hat auch noch ein zweites, großes Ziel für ihre Kanzlerschaft: "Deutschland sollte es schaffen, dass wir in zehn Jahren wieder unter den ersten drei Ländern in Europa sind."

2007 wieder auf Linie

Doch dazu muss erst einmal die Konjunktur anspringen. Um das Wirtschaftswachstum in Gang zu bringen, beginnen Merkel, ihr designierter Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) und der künftige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) ihre gemeinsame Arbeit mit einem Novum: Sie machen für den Haushalt 2006 so viele Schulden (41 Milliarden Euro), dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland schon beim Zustandekommen des Etats klar ist, dass er verfassungswidrig ist, weil die Neuverschuldung die Investitionen (23 Milliarden Euro) überschreitet.

"Wir sagen ganz ehrlich, dass wir 2006 keinen verfassungskonformen Haushalt vorlegen können, aber 2007 muss das gelingen", räumt Merkel ein. CSU-Chef Edmund Stoiber, dem daheim in Bayern laut Focus ein Putsch der Jungen Union droht, erklärt diesen Schritt so: "Die finanzielle Lage ist prekärer, als wir es zu Beginn der Koalitionsverhandlungen eingeschätzt haben." Für die Erklärung der Rekordverschuldung greift Merkel zu einem Beispiel aus der Medizin: "Da ist es ja auch oft so, dass man einen Patienten stabilisieren muss, damit er die Operation übersteht." Müntefering meint: "Wer will, dass Deutschland einen guten Weg nimmt, der muss uns eine Chance geben." Kritik kommt von der Opposition. Grünen-Chefin Claudia Roth nennt das Programm "abkassieren, blockieren und rumlavieren", die Linkspartei spricht von "alter Ideenlosigkeit".

Das letzte Wort hat heute, Montag, die Parteibasis. Auf Parteitagen müssen SPD, CDU und CSU dem Koalitionsvertrag zustimmen. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.11.2005)