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Der britische Skandalrocker Pete Doherty (siehe auch: Kate Moss) veröffentlicht nächste Woche gemeinsam mit seiner aktuellen Band Babyshambles ein neues Album: "Down In Albion": Zerrissene Hymnen zwischen Drogensucht, Langeweile und Verzweiflung.

Foto: Reuters /Mitchell
Der 26-jährige britische Gitarrist und Sänger Pete Doherty gelangte als derzeit berühmtester Junkie des Pop zuletzt wegen der Kokainaffäre seiner Freundin Kate Moss in die Schlagzeilen. Nächste Woche veröffentlicht er mit seiner aktuellen Band Babyshambles dennoch ein großartig zerrissenes Album: "Down In Albion".


Wien – Die gute Nachricht: Kate Moss ist auf Kur in Amerika. Sie war als Eintrittsticket in die Yellow Press jene Freundin, wegen der unser Held im Zusammenhang mit Kokainmissbrauch und dessen öffentlicher Dokumentation auf der Titelseite der britischen Qualitätszeitung The Sun zuletzt in der internationalen Presse zum verkommensten Rocker aufstieg, seit Keith Richards in den 60er- Jahren den Junkie anhand berühmter Vorbilder aus dem Jazz (Charlie Parker, Chet Baker, Thelonious Monk, Miles Davis ...) auch im Rock 'n' Roll etablierte. Kate will jetzt sauber werden. Auf dem Land.

Kurzer Einschub: Auch ohne sie werden laut jüngster offizieller Messdaten (DER STANDARD berichtete) über die natürliche menschliche Ausscheidung täglich zwei Kilo reines Kokain in London über die Toilette in die Themse gespült. So viel zum Thema Großstadt und urbanes Leben.

The Libertines, Dohertys alte Band, mit der er es auf gezählte zwei, musikalisch betrachtet aber zumindest auf eineinhalb großartige Alben brachte, ist längst aufgelöst. Man erinnere sich nur an das im Zeichen einer nicht unterzukriegenden Lumpen-Boheme stehende Up The Bracket aus 2002 und die 2004 nachgereichte Zerfallserscheinung The Libertines. Verfasst gemeinsam mit seinem ehemaligen Busenfreund Carl Barat. In dessen Wohnung sollte Doherty im Rahmen von Beschaffungskriminalität am Ende einbrechen, während Barat ohne Doherty auf Tour mit den Libertines war.

Dass in diesem Zusammenhang ein für heute, Donnerstag, angekündigtes Wien-Konzert im Gasometer längst wieder abgesagt wurde, dürfte nur wenige überraschen.

Kriminell gut

Man kann es gelassen aussprechen: Pete Doherty ist der derzeit im Popgeschäft gefragteste Unsicherheitsfaktor. Wenn man Pop im Jahr 2005 aus völlig anachronistischen Gründen vom Symbolcharakter her nach wie vor als Verbrechensbekämpfung wider die guten, faden, überkommenen, spießigen Sitten betrachtet, dann wird hier seit drei, vier Jahren eines exemplarisch und geradezu kriminell wie kriminell gut demonstriert: Der Kampf gegen die Norm darf keine gängigen Vorstellungen erfüllen. Jenseits von Gut und Böse? Auf jeden Fall: jenseits!

Der Schauwert bezüglich Drogensucht, Randale, Kanaillentum, versprochen und dann nicht gehalten, Kleinkriminalität und Passkontrollen mit dem Gummihandschuh geht gegen unendlich. In die Tiefe wie in die massenmediale Breite. Wann war Pop zuletzt ein Seite-eins-Thema für die Bild-Zeitung?

Pete Doherty wird nach dem Zusammenbruch seiner alten Band The Libertines und der Vorführung seines schick und Iiiih! und Ach! und Weh! gestalteten Lebens an der Nadel nächste Woche dennoch ein neues Album veröffentlichen.

Wen es interessiert: Mit seinem aktuellen Quartett Babyshambles ist dem 26-jährigen Gitarristen und Sänger unter dem Beautiful-Losers-Motto "Ich bin keiner von uns!" mit 16 locker, lässig, nachlässig und sehr wahrscheinlich auch verzweifelt in der Not hingeschluderten Songs der CD Down In Albion dennoch ein großartiges Album gelungen.

Die Unfähigkeit, sein eigenes Leben auch nur ansatzweise selbstbestimmt gestalten zu können, die Verzweiflung, die in den Songs immer ebenso mitschwingt wie die trotzige Behauptung, es denen da draußen, also uns allen dennoch zu zeigen, sie führen zu mitunter katastrophalen und manchmal ganz wunderbar Gänsehaut verursachenden Ergebnissen.

Mag auch die postmoderne These vom Pop als durch alle Trugbilder von Authentizität und Wahrhaftigkeit durchschimmerndem Konstrukt und Realitäts-Hybrid heute längst verpflichtend sein. Besonders üppig wird hier von Pete Doherty und seinen ebenso zittrigen, kaputten, glasig dreinschauenden und dennoch mit vollem und aus ganzem Herzen agierenden Kollegen nicht aufgetragen.

Selbstzerstörung und persönliche Tragödie, der tödliche Wettkampf zwischen manischen Schüben und Depression, schließlich auch das sture Beharren auf unhaltbaren Lebensentwürfen oder -wegwürfen vermögen es nicht, diese lange nicht mehr gehörte allumfassende Liebe zum Pop inklusive all seiner dunklen Begleiterscheinungen zu verdecken. Unter der Regie des die Zusammenarbeit mit Junkies nicht nur bereits von den Libertines her, sondern auch schon von seiner eigenen alten Band The Clash (London Calling) gewohnten Mick Jones an den rettenden Reglern des Mischpults wurden jetzt oft nur bruchstückhafte Skizzen mit Demo-Charakter zu schlampigen wie oft zwingenden Ergebnissen zusammengefügt. Mick Jones dürfte so nicht nur ein weiteres Mal als gütige Vaterfigur fungiert haben, der Doherty die verzweifelt fröhliche Rock-'n'- Roll-Kunst verdankt, gleichzeitig gesanglich zu torkeln und die geballte Faust zu recken. Jones ist es sehr wahrscheinlich auch zuzuschreiben, dass dieses Album überhaupt erscheinen kann.

Begnadete Melodien

Lieder wie die zerrissene Hymne Fuck Forever ("I'm so clever, but clever ain't wise"), intensive Balladen wie Albion oder Up The Morning oder die flott-desperate Morrissey/ Smiths-Paraphrase Back From The Dead führen trotz aller hinter jeder Ecke lauernden Sozialpornografie nicht nur einen großen, begabten Melodienerfinder vor.

Wenn es denn die eigenen Zustände gerade erlauben, darf Pete Doherty ruhig auch als ein begnadeter Texter und Chronist angesehen werden. Der versteht es, das heutige Großbritannien sehr präzise, weil beiläufig auf den Punkt zu bringen. Dass hier eine ganze Generation ein schweres Drogenproblem wegen Perspektivenlosigkeit, Arbeitslosigkeit und daraus herrührender Langeweile und Lebensüberdruss hat, kann im Falle Dohertys ruhig auch einmal an einem Einzelschicksal festgemacht werden.

Denn kritisieren bedeutet ja wohl manchmal auch: bedauern. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.11.2005)